Kaum eine Küche hat eine so lange Tradition wie die jüdische Küche. Und wohl kaum eine Küche ist im Kern so international. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Juden durch Vertreibungen und Pogrome immer wieder eine neue Heimat suchen mussten. Verstreut über die ganze Welt gaben jüdische Köche Impulse für Regional- und Landesküchen. Und wurden im Gegenzug von landestypischen Gerichten und Zutaten beeinflusst. Anregungen von außen nimmt auch Leah Koenig in ihrem Kochbuch „Die Moderne Jüdische Küche“ auf, in dem sie traditionelle Gerichte neu interpretiert.
Der Streit zwischen Alt und Neu, Tradition und Moderne wird in der jüdischen Küche besonders heftig ausgefochten. Auf der einen Seite stehen Traditionalisten, die alles verteufeln, was von altüberlieferten Rezepten abweicht. Auf der anderen Modernisierer wie Kochbuchstar Yotam Ottolenghi. Aber auch Leah Koenig, die Tradition als Basis für Erneuerungen und Weiterentwicklung versteht. So hat die jüdische Küche eine gespaltene Persönlichkeit. Ist hin- und hergerissen zwischen konservativer Identitätsbewahrung und wandelbarer Offenheit.
Jüdische Küche mit Kick
Wie schmackhaft jüdische Küche sein kann, zeigt Leah Koenig in „Die Moderne jüdische Küche“. Koenig ist definitiv kein Fan von starrem Beharren auf Tradition. In den einleitenden Worten ihres Kochbuchs bemängelt sie die Tendenz der jüdischen Küche, sich auf Althergebrachtes zu konzentrieren. Die jüdische Küche habe in Amerika den Ruf, fade zu schmecken und altmodisch zu sein, so Koenig. Wer Ottolenghis „Jerusalem“-Rezepte ausprobiert hat, wurde eines besseren belehrt. So stehen die Chancen gut, dass auch Koenigs Speisen neuen Kick in die Küche bringen.
Auf 320 Seiten teilt sie ihre Rezepte in elf Kaptitel ein, wählt aber nicht die klassische Unterscheidung zwischen Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts. Stattdessen deckt sie alle kulinarischen Lebensbereiche ab. Vom Frühstück, über Brote und Teigwaren, bis hin zu Salaten oder Süßigkeiten. Die Unterteilung ist ein Zeichen, dass das Buch sich eher an ein modernes, urbanes Publikum richtet, das Rezepte nach Anlass auswählt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Koenig in New York lebt.
Typische Zutaten neu gedacht
Kulinarisch schwebt „Die Moderne Jüdische Küche“ zwischen Rezepten, die für die jüdische Küche typische Zutaten aufgreifen, aber diese anders verarbeiten, und eigenen Kreationen sowie traditionellen Gerichten. Mal mehr, mal weniger klassisch interpretiert. Gefilte Fisch wird im Weißwein-Kräuter-Fond serviert. Für die in den USA zu Ruhm gekommenen Bagels verbindet Koenig das New Yorker Rezept mit dem Montreal-Style. Süße Hamantaschn bereitet sie als herzhafte Variante mit Füllungen aus Süßkartoffeln und Parmesan oder Tomaten mit Rinderhack zu.
Typisch für die jüdische Küche sind auch Matzen, die bei Koenig ebenfalls neue Wege gehen – in Form von feurigen Jalapeño-Matzenbällchen. Kürbis, gerade bei den sephardischen Juden ein Grundnahrungsmittel, greift sie als Basis für Muffins mit Schokostückchen auf. Oder – etwas mutiger – in ihrer Butternusskürbis-Suppe mit Birnen und Ahornsirup. Sehr lecker!
Der Schwierigkeitsgrad der Rezepte ist angenehm. Sie sollen nachgekocht werden und verzichten auf allzu aufwändige Hochglanzfotos. Die Bildsprache ist ebenso einfach gehalten wie die Kochanweisungen und stellt dadurch keine zusätzlichen Hürden auf. Unerfahrene bekommen in der Einführung des Buches zudem noch eine Reihe praktischer Zubereitungstipps.
Hintergründe zur jüdischen Küche
Ohnehin vermittelt jedes Rezept viel Hintergrundwissen: zum Ursprung des Gerichts in der jüdischen Küche, zu welchem Fest es traditionell serviert wird oder wie Leah Koenig es variiert. Immer wieder erzählt das Buch in Exkursen vom Wandel der jüdischen Küche und dem aktuellen Boom oder erklärt die jüdischen Feiertage, Feste sowie die Volksgruppen und ihre kulinarischen Traditionen.
Alles in allem ist Leah Koenig mit „Die Moderne Jüdische Küche“ ein schönes Kochbuch gelungen, das Ottolenghis „Jerusalem“ ergänzt. Es schlägt geschickt neue Wege ein, ohne Traditionen zu vernachlässigen. Kleine Fehler wie im Rezept für Gebackene Birnen mit Ahornsirup und Kardamon, das die Hauptzutat mehrfach listet, halten sich glücklicherweise in Grenzen. So wird der Blick auf das Wesentliche nicht versperrt: auf eine internationale Küche mit Wurzeln im gesamten mediterranen Raum und Einflüssen aus Europa, Amerika sowie dem Südwesten Asiens. Eine Küche, die nicht immer Veränderungen mag, aber ohne sie nicht auskommt.
Leah Koenig
„Die Moderne Jüdische Küche“
(Jacoby & Stuart)
320 Seiten, ISBN 978-3-942787-75-8, € 22,00
Tanja
Sehr schöne Rezension! Ich habe das Buch gerade bestellt!