Einen weiteren Tag unseres Aufenthalts in Cefalù haben wir für einen Ausflug ins Hinterland eingeplant. Mit dem Auto wollen wir die Dörfer und die wundervolle Landschaft der Madonie erkunden. Die Madonien sind ein Gebirgsstreifen, der sich hinter Cefalù erstreckt. Im Winter kannst du auf den teils bis zu 2000 Meter hohen Bergen sogar Ski fahren, vom Frühjahr bis in den Herbst ist der pflanzen- und tierreiche Parco delle Madonie eine hervorragende Gegend zum Wandern. Tiefe Täler mit atemberaubenden Ausblicken, grüne Hügel mit bunten Blumenwiesen auf den Hochebenen, einsame Karstlandschaften und knorrige Eichenwälder: die Natur ist so abwechslungsreich wie beeindruckend. Viele der abgelegenen Dörfer der Madonien gehören zu den Borghi più belli und haben ihren ursprünglichen, mittelalterlichen Kern noch bewahrt. In der Madonie kannst du noch das unverfälschte Sizilien erleben, das vom Massentourismus verschont geblieben ist.
Unterwegs im Hinterland: Entschleunigung in spektakulärer Landschaft
Wir sind östlich von Cefalù auf der Küstenstraße (SS113) unterwegs und nehmen kurz hinter dem Bahnhof von Pollina die SP52, die mit sanfter Steigung durch die Macchia in die Madonie führt. Auf dem gegenüberliegenden Berg thront das mittelalterliche Dorf Pollina auf knapp 800 Metern Höhe. Der Ort bietet ein wundervolles Panorama über die Madonie und die Küste. Bei gutem Wetter kannst du von Pollina aus sogar die Liparischen Inseln sehen.
Bei Borrello Basso biegen wir auf die SP60 in Richtung Gangi. Nur wenige Meter hinter der Abzweigung führt eine kleine Straße zur Gole di Tiberio, einer schmalen Schlucht mit glattgeschliffenen Kalksteinfelsen. Da wir aber nicht zum Raften und Schluchtenwandern in der Madonie sind, setzen wir unsere Reise fort.
Mit Staunen und großer Begeisterung fahren wir weiter bergwärts durch die unglaublich schöne Landschaft, die hinter jeder Kurve neue spektakuläre Blicke bietet. Die Welt scheint sich in der Madonie vollkommen zu entschleunigen – kaum eine Menschenseele ist auf den Straßen unterwegs. Mehr als eine halbe Stunde begegnen wir keinem Auto. Gestresste Städter finden hier eine ungewohnte Einsamkeit, ganz nah an der Natur. Nur die Schlaglöcher in der Straße wecken uns immer wieder ruckartig aus der verträumten Begeisterung.
Sizilien ganz ursprünglich: Winzige Weiler wie Botindari besuchen
Fast wie ein Klischee des abgelegenen Landlebens wirkt das winzige Dorf Botindari, an dem wir auf dem Weg nach Gangi Halt machen. Ein paar versprengte Häuser mitten im Grünen, um eine kleine Piazza gebaut, auf der sich das Dorfleben abspielt. Gelegentliches Schafsblöken und blühende Gärten zeigen: Wer hier wohnt, ist Selbstversorger.
Gangi – das berühmte 1-Euro-Dorf
Etwa 14 Kilometer weiter landeinwärts biegen wir auf eine kleine mit Bäumen gesäumte Straße, die an Bauernhöfen, Olivenhainen und Weiden direkt auf Gangi zuführt. Der Ort wurde 2014 von einem TV-Sender zum schönsten Dorf Italiens gewählt. Gangi ist aber auch durch eine PR-trächtige Aktion seines Bürgermeisters weltweit bekannt geworden, der in dem unter Abwanderung leidenden 7000-Einwohner-Dorf leerstehende Häuser für nur einen Euro verkaufte. Einzige Bedingung seiner „Case a 1 Euro“-Aktion: die neu erworbene Immobilie musste innerhalb von drei Jahren renoviert werden. Mittlerweile gibt es auf Sizilien einige Gemeinden, die dem Vorbild Gangi angeschlossen haben.
Sehenswürdigkeiten in der Altstadt von Gangi
Steil geht es die letzten Meter in die Altstadt hinauf, die sich auf 1000 Metern Höhe um den markanten Monte Alburchia wickelt. An der Spitze des von den Sikulern gegründeten Dorfes, bei der Tuffstein-Kirche Chiesa di San Paolo, gibt es einen kleinen Parkplatz. Von hier aus kannst du Gangi prima erkunden. Der kleine Ort wirkt wie aus einem Guss – die Häuser und die vielen Barockkirchen sind fast alle aus dem gleichen Stein gebaut, die Dächer rot gedeckt. Im September ist in Gangi so gut wie nichts los und wir können in aller Ruhe und ohne Gedränge die Straßen erkunden. Am Corso Umberto kommen wir an der kleinen Chiesa San Giovanni Battista vorbei, an der du abends gemütlich draußen sitzen kannst.
Kulinarischer Tipp
Wenn du im September in Gangi bist, solltest du die Mastacuttè probieren. Das Gebäck wird zur Erntezeit der Kaktusfeigen gebacken, den Teig rührt man mit dem Saft der Früchte an.
Panoramablick an der Piazza del Popolo
An der Piazza del Popolo stehen sich das Rathaus und die große Chiesa Madre gegenüber, die einen tollen Panoramablick ins Umland bietet. Direkt unterhalb der Kirche liegt wohl eines der hübschesten Polizeigebäude Italiens. Ein Blickfang ist auch der noch recht junge Brunnen Fontana del Leone. Er zeigt einen Löwen, der aus einer mit Efeu bewachsenen Grotte an eine Wasserstelle schleicht.
In Gangi kannst du auch eines der kuriosesten Museen besuchen: das Haus der alten Erinnerungen. Es ist vollgestopft mit sizilianischen Alltagsgegenständen und Spielzeugen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Wenige Meter weiter steht die Chiesa San Cataldo, von der du ebenfalls einen wundervollen Blick über die Hochebene der Madonie und das gestaffelte Häusermeer Gangis hast.
Geraci Siculo – Geheimtipp abseits der Tourismuspfade
Nach einem ausgiebigen Spaziergang durch Gangi und einem Blick auf den Ätna von der östlichen Seite des Dorfs geht es weiter in Richtung des 13 Kilometer entfernten Geraci Siculo, das ebenfalls zu den Borghi più belli gehört. Auf dem Weg bietet sich uns noch einmal ein atemberaubender Blick auf Gangi, der Gold wert ist.
In Geraci Siculo sind wir zunächst die größte Attraktion. Da der Ort in kaum einem Reiseführer steht, bekommt er entsprechend wenig Besuch. Er ist ein kleiner Geheimtipp und gehört ebenfalls der Vereinigung Borghi più belli an. Die wenigen Bewohner, die um die Mittagszeit auf den Straßen zu sehen sind, schauen interessiert, wer sie da besucht und wo es uns hinzieht.
Von der Piazza del Popolo aus erkunden wir das Dorf, das nicht einmal 2000 Einwohner hat. Direkt an der Piazza steht die Santa Maria Maggiore-Kirche von 1495, in deren Krypta einige Schätze zu sehen sind. Bergwärts führen verschlungene Gassen an kleinen, wunderschön gemauerten Häuschen und blumengeschmückten Seitenwegen vorbei. Im 13. und 14. Jahrhundert war Geraci Sitz der italienischen Adelsfamilie Ventimiglia. Sie hat in dem Städtchen Spuren hinterlassen, unter anderem die mächtigen Ruinen des Castello am höchsten Punkt des Centro Storico. Viel ist nicht mehr übrig von dem einst mächtigen Gebäude.
Kulinarischer Tipp
Rund um Geraci werden viele Schafe gehalten und aus der Milch der Tiere richtig guter Ricotta, Pecorino und Caciocavallo produziert. In der Nähe von Geraci Siculo bietet die Casearia Mantegna eine große Auswahl an verschiedenen Käsesorten an. Die Käserei liegt an der SP60 zwischen Botindari und Gangi, die Produkte sind aber auch in den umliegenden Dörfern der Madonie erhältlich.
Casearia Mategna, Contrada Da Celsa, Geraci Siculo
Castelbuono – malerischer Ort voller Sehenswürdigkeiten im Herzen der Madonie
Wir brechen auf zu unserem nächsten Ziel in der Madonie. Entlang der kurvigen SS286 mit ihrem Bergpanorama geht es nach Castelbuono. Das Städtchen mit rund 9000 Einwohnern liegt in der Nähe des Monte Carbonara, dem höchsten Berg der Madonie. Auch in Castelbuono finden sich viele Spuren der Ventimiglia-Dynastie.
Das Castello de Ventimiglia
Der Adelsfamilie verdankt die Stadt ihre größte Sehenswürdigkeit: das Castello di Ventimiglia. Es diente einst als Kulisse für Giuseppe Tornatores Film „Cinema Paradiso“ und beherbergt heute das Städtische Museum. Auch wenn die Burg von außen sehr klotzig wirkt, ist die Cappella Palatina Sant‘Anna mit ihren prächtigen Stuckverzierungen aus dem 17. Jahrhundert ein echter Hingucker.
Rund um die Burg entlang der Viale Castello gibt es eine Menge Parkplätze. Auf dem Platz vor der Burg findet jedes Jahr im August das Indie Rock-Festival Ypsigrock statt, bei dem international bekannte Bands vor der eindrucksvollen historischen Kulisse spielen.
Kulinarischer Tipp
Zu einem Besuch in Castelbuono gehört ein Stop bei Fiasconaro. Die Konditorei an der Piazza Margherita hat es mit ihrem Panettone zu internationalem Ruhm gebracht und versüßte sogar Bruce Springsteen das Leben. Mittlerweile exportiert Fiasconaro weltweit. Trotzdem sind die drei Brüder am Boden geblieben. Fausto Fiasconaro bedient in der Bar an der Piazza noch persönlich. Wir haben dort die beste Brioche auf ganz Sizilien gegessen, gefüllt mit ultracremigen Eis. Probieren solltest du auch das Manna-Eis und natürlich eine Scheibe Panettone, am besten mit Pistazien-Creme!
Fiasconaro, Piazza Margherita 10, Castelbuono
Piazza Margherita – einer der schönsten Plätze Siziliens
Die mit hübschen kleinen Bäumen bepflanzte Via Sant’Anna führt vom Castello ins Herz des Centro Storico: die Piazza Margherita, einem der schönsten Plätze, den wir in Sizilien gesehen haben. Mit der Bergkulisse im Hintergrund lässt es sich auf der Piazza zwischen ockerfarbenen Häusern und der Chiesa Matrice Vecchia wunderbar entspannen.
Kulinarischer Tipp:
Gutes Essen und ganz viel Atmosphäre: Das Kilometrozero hat nicht nur eine gute Auswahl an lokalen Gerichten zu fairen Preisen, sondern punktet mit seinem tollen Ambiente. Der Balkon ist mit leeren Weinflaschen verziert, bunte Stühle an Weinfässern vor der Osteria und Tische auf der Dachterrasse laden zum Schlemmen im Freien ein. Für rund 30 Euro gibt es ein Drei-Gänge-Menü.
Kilometrozero, Via Sant’Anna 32, Castelbuono
Nachdem wir die Kirche und ihre schönen Fresken besichtigt haben, schlendern wir noch durch die Straßen von Castelbuono. Auf dem Corso Umberto entdecken wir einen alten Brunnen mit Skulpturen von Diana, Venus und Andromeda.
Castelbuono hat uns so gut gefallen, dass wir bei unserem nächsten Sizilien-Aufenthalt noch einmal die „gute Burg“ besuchen wollen. Gerade außerhalb der Saison ist Castelbuono ein richtiger Geheimtipp, denn der Ort hat nicht nur eine Reihe schnuckeliger B&Bs und eine gute Auswahl an Restaurants. Von Castelbuono aus kannst du perfekt den Nationalpark der Madonie erkunden und in den Bergen wandern.
Da unsere Füße schon ordentlich plattgelaufen sind, machen wir uns langsam wieder auf den Rückweg nach Cefalù. Am nächsten Morgen müssen wir wieder die Koffer packen für die finale Etappe unserer Sizilien-Rundreise. Durch das Hinterland wollen wir zu einem der geschichtsträchtigsten Orte im Südosten Siziliens fahren: Syrakus – wir kommen!
Du warst schon in der Madonie oder möchtest noch mehr wissen? Dann hinterlasse mir in den Kommentaren gerne deine Tipps oder Fragen!
Harald Janker
Sehr anschaulich beschriebener Reisebericht. Da wir im Oktober für 2 Wochen nach Sizilien reisen, werden wir diese Tour und alle beschriebenen Plätze (auch das Restaurant) besuchen.
Vielen Dank und wir freuen uns auf weitere, so hervorragend beschriebene Reiseberichte.
Torsten
Vielen Dank! Bald geht es wieder weiter mit den Reiseberichten – es kommt in Kürze eine große Reihe über Apulien.
Karin
Hallo Torsten,
wir haben heute die Rundreise
DIE SCHÖNSTEN DÖRFER DER MADONIE
mit unserem Mietwagen ab Cefalu (Sizilien)unternommen. Es war grandios, die Landschaft und die empfohlenen Orte waren traumhaft schön. Vor allem der letzte Ort Castelbuono hatte einen ganz besonderen Charme. Die kulinarischen Empfehlungen toll! Wir bedanken uns ganz herzlich für diesen tollen Reisebericht, den wir genauso erlebt haben. Newsletter ist abonniert!
Viele liebe Grüße Rolf und Karin (aus NRW Kreuztal)
Torsten
Liebe Karin, lieber Rolf,
danke, das freut mich!
Liebe Grüße
Torsten
Julia
Hallo,
Dies ist ein sehr schöner Reisebericht, den wir teilweise abgefahren sind. Teilweise, weil leider die Straße hinter Botindari gesperrt war (Stand April 2024). Google Maps wusste es zu unserem Leidwesen auch nicht.
Daher haben wir Gangi nicht sehen können, sind dann nach Botindari direkt nach Castelbueno und über Pollina zurück. Dennoch eine tolle Tour.
Thea Marten
Hallo Julia, uns ist es exakt genauso ergangen! Trotzdem schöne Tour!