Sanft gewellte Hügel, goldgelbe Weizenfelder, sattgrüne Wiesen, gekämmte Weinreben und kurvige Zypressenalleen, die sich durch die idyllische Landschaft schlängeln: die Landschaft der Toskana ist mit ihren Postkartenmotiven das Sehnsuchtsland vieler Urlauber. Zu jeder Jahreszeit zeigt die mittelitalienische Region ein anderes Gesicht. Im Frühling verzaubert die Toskana mit bunten Blumenwiesen, im Sommer lässt es sich am Meer oder in ruhig gelegenen Landhäusern mitten im Grünen entspannen. Der Herbst taucht die Landschaft in stimmungsvolles Licht, während im Winter die höher gelegenen Regionen sogar zum Skifahren einladen. In meinem Reisebericht nehme ich dich mit auf eine Rundreise zu den schönsten Orten und Sehenswürdigkeiten der südlichen Toskana – von Siena übers Val d’Orcia bis in die Maremma.
In Siena haben wir uns eine kleine Ferienwohnung gemietet, direkt im gotisch-mittelalterlichen Centro Storico. Ratternd ziehen wir unsere Koffer über den huckeligen Gehweg entlang der Giardini la Lizza. Die Altstadt ist wie so oft in Italien verkehrsberuhigt. Siena war Vorreiter und sperrte bereits 1956 den größten Teil des Centro Storico für den allgemeinen Verkehr. Von unserer Wohnung nahe der kleinen Kirche Santo Stefano alla Lizza aus können wir zu Fuß bestens die Altstadt erkunden.
Die Contraden von Siena
Für den Aufenthalt in der Stadt mit ihren 54.000 Einwohner solltest du gut eine Woche einplanen. Nicht nur, weil du Siena dann in Ruhe entdecken kannst, sondern weil es ein guter Ort ist, um die vielen Städtchen und Dörfer im Chianti oder Val d‘Elsa zu besuchen. Das historische Zentrum Sienas ist in 17 Contraden unterteilt. Früher hatten die kleinen Stadtteile eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Wenn du durch die Straßen Sienas gehst, solltest du an den Häusern auf die kleinen Keramiktafeln und Fahnen achten. Sie verraten dir, in welcher Contrada du dich gerade befindest.
Die meisten Contraden haben Tiere und Fabelwesen als Symbol. Unter den einzelnen Stadtteilen herrschte lange Rivalität. Beim Palio, dem berühmten Pferderennen von Siena, treten sie noch heute gegeneinander an. Jede Contrada hat eine eigene Kirche, ein Gemeindehaus und Museum. Und natürlich spezielle Traditionen. Die Geschichte der historischen Stadtteile ist so umfangreich, dass sie hier den Rahmen sprengt. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, solltest du Anna-Kathrin Warners Buch „Die Contraden von Siena“ lesen.
Mittelalterliche Spuren in Siena
In Siena wirkt es, als sei die Zeit in der Stadt stehen geblieben. Die hohen Paläste aus Backstein und die engen Gassen, in die nur wenige Sonnenstrahlen dringen, prägen den mittelalterlichen Charakter der Stadt. An vielen Hauswänden kannst du geschmiedete Ösen entdecken, an die man einst Pferde angebunden hat. Die herausragenden Bauwerke Sienas wurden fast alle vor der Eroberung des einst mächtigen Stadtstaats durch Florenz im 16. Jahrhundert errichtet. Das ist auch der Grund, weshalb Siena architektonisch von der Gotik geprägt ist, während das 50 Kilometer nördlich gelegene Florenz vor allem mit seinen Renaissance-Bauten begeistert.
Piazza del Campo – das Herz von Siena
Unser Weg durch Siena führt uns als erstes direkt ins Herz der Stadt: zum weitläufigen, muschelförmigen Piazza del Campo. Er gilt als schönster Platz der Toskana, auch weil er in einer Senke liegt, eingerahmt von imposanten Backsteinpalästen und dem gotischen Rathaus mit dem 102 Meter hohen Turm Torre del Mangia. Es ist der zweithöchste mittelalterliche Turm in ganz Italien. Vom Torre del Mangia aus hast du einen tollen Rundblick über Siena und die Umgebung der Colli Senesi – allerdings musst du dafür 500 Stufen erklimmen.
Die Piazza del Campo, kurz „Il Campo“, mit dem Fonte Gaia ist der Treffpunkt der Stadt und der gesellschaftliche Mittelpunkt Sienas. Tagsüber ist der weitläufige Platz voller Touristen, abends aber breitet sich durch die geschlossene Architektur eine besondere Stimmung aus. Die vielen Cafés und Restaurants auf dem Campo bieten vor allem einen tollen Blick auf das rege Treiben, lassen sich diesen aber gut bezahlen. Ein Geheimtipp ist Sandwichladen Il Cencio (Ecke Via Rinaldini) – weniger wegen der nur durchschnittlichen Panini. Im Laden führt eine schmale Treppe zum Balkon im ersten Geschoss. Der Weg dorthin ist eng und erfordert Kopfeinziehen, doch wenn du einen Platz auf dem Balkon ergatterst, kannst du in aller Ruhe bei einem hervorragenden Ausblick auf den Piazza del Campo dein Panino mit einem Glas Wein genießen.
Der Palio – das spektakulärste Pferderennen der Toskana
Zweimal im Jahr ist Il Campo der Ort für das wichtigste Ereignis in Siena – der Palio. Es ist ein Pferderennen, bei dem die Contraden gegeneinander antreten. Die Jockeys reiten ungesattelt und können den Gegner mit Peitschenhieben aufs Pferd behindern, was nicht selten zu Unfällen führt. Das Rennen rund um den Platz, das nur rund zwei Minuten dauert, reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück und ist in zahlreiche Zeremonien eingebettet. Wenn du den Palio einmal erleben willst, musst du am 2. Juli oder 16. August Siena besuchen und frühzeitig an der Piazza eintreffen. Es wird sehr voll! Der Palio war übrigens vor einigen Jahren Schauplatz für eine wilde Verfolgungsjagd des James Bond-Films „Ein Quantum Trost“.
Kulinarischer Tipp
Die kleine und schlicht eingerichtete, aber dennoch gemütliche Osteria Il Carroccio liegt in einer Seitenstraße, die vom Piazza del Campo wegführt. Da das Restaurant auch bei den Sienesi beliebt ist und nur wenige Plätze hat, geht hier ohne Reservierung nichts. Die Küche ist bodenständig und bietet lokale Spezialitäten. Sehr lecker ist die Degustationsplatte von Wurstwaren des Cinta Senese-Schweins, der Artischocken-Pie und die Leber in Vin Santo. Als Hauptspeise solltest du unbedingt das aufgeschnittene Steak mit Pecorino-Creme und karamellisierten Zwiebel essen! Eine tolle Auswahl an Desserts krönt das Menü: Entweder gleich den Klassiker Cantuccini mit Vin Santo nehmen oder aber die gemischte Platte mit Dolci aus Siena, die einmal durch die Nachtisch-Tradition der Stadt führt!
Osteria Il Carroccio, Via Casato di Sotto 32, Siena
Streifzug durch die Altstadt von Siena – die besten Sehenswürdigkeiten
Der Piazza del Campo ist der perfekte Ausgangsplatz für einen kleinen Rundgang entlang der vielen Sehenswürdigkeiten Sienas. Unterhalb des Campo liegt die Synagoge und der Palazzo Piccolomini, der das Staatsarchiv beherbergt.
Rund um die Piazza Tolomei
Verlässt du den Platz an der Loggia della Mercanzia, dem einstigen Sitz des Handelsgerichts, Richtung Norden, gelangst du über die Via Banchi di Sopra zur Piazza Tolomei. In der Mitte des Platzes steht eine hohe Säule mit einer Wölfin, die zwei menschliche Kinder säugt. Es ist die Wölfin von Rom, die auch das Wahrzeichen Sienas ist. Der Legende nach wurde die Stadt von Remus‘ Söhnen gegründet. Sehenswert ist auch der Palazzo Tolomei gegenüber der Chiesa San Cristoforo. Er ist eines der ältesten Gebäude in Siena und wurde im Jahr 1205 erbaut.
Nur 250 Meter entfernt liegt die manieristische Kirche Santa Maria in Provenzano. Die Kirche ist wegen ihres Bodens mit 3D-Effekt einen Blick wert! Über die Via del Giglio geht es weiter zur Basilica di San Francesco, die allerdings eher durch ein spartanisches Inneres auffällt. Die Räume des angrenzenden Franziskanerklosters nutzt heute die Universität von Siena.
Giardino degli Orbachi
Über die Via Rossi gelangst du zu einem der Geheimtipps Sienas, der den meisten Touristen verborgen bleibt und den nicht einmal alle Sienesen kennen: Der Giardino degli Orbachi (der Lorbeergarten) ist ein kleiner Park, der nicht nur eine schöne Aussicht bietet, sondern in dem du dir vom Trubel in der Stadt eine kleine Auszeit nehmen kannst. Er liegt hinter dem Vicolo degli Orbachi – im mittelalterlichen Siena die gefährlichste und dunkelste Gasse der Stadt. Vor Jahrhunderten stand hier auch ein Bordell, an das heute ein künstliches Fenster mit einer barbusigen Frau erinnert.
Aus der östlichen Altstadt zieht es uns wieder zurück in den Kern des Centro Storico an die Piazza Salimbeni, wo die älteste Bank der Welt steht: die Monte dei Paschi, die 1472 gegründet wurde und Siena zum Zentrum der europäischen Geldgeschäfte machte. Der Palazzo Salimbeni ist noch heute der Sitz der Bank. Weiter in den Norden der Altstadt führt die Via Montanini, die später zur Via Camollia wird, in Richtung Bahnhof. Entlang der Straße findest du nicht nur viele kleine Läden, die zum Shoppen einladen, sondern auch noch einige Brunnen, kleine Kirchen sowie das gut erhaltene Stadttor Porta di Camollia.
Basilica San Domenico
Wir haben jedoch ein anderes Ziel, nämlich eine der größten Sehenswürdigkeiten Sienas: den Duomo Santa Maria. Auf dem Weg von der Piazza Salimbeni machen wir allerdings noch einen Schlenker und statten der Basilica San Domenico einen Besuch ab. Die Kirche aus dem 13. Jahrhundert wirkt von außen relativ karg, beherbergt im Inneren aber Heiligtümer Sienas. Hier kannst du das einzige Portrait der Santa Catarina, der Schutzheiligen der Stadt, sehen. In der Kirche geht es auch gruselig zu: Sowohl Catarinas Kopf als auch ein Finger werden dort als Reliquie verehrt.
Kulinarischer Tipp
Die Compagnia dei Vinattieri beeindruckt nicht nur durch einen ungewöhnlich eingerichteten Speisesaal mit Rundbögen, gemütlichen Tischen und Sofas, der wie eine Mischung aus Wohnzimmer und Restaurant wirkt, sondern durch eine wirklich gute und raffinierte Küche. Als Vorspeise oder ersten Gang gibt es u.a. eine leckere Bruschetta mit Taubenkonfit, gedünsteten Baccalà mit Fenchelcreme oder Spaghetti Rossi mit Vongole, Tomate und Bottarga. Hauptgerichte wie gefülltes Schweinefilet mit Trockenfrüchten und Pistazienkruste, niedrig gegarter Oktopus in Kataifi oder ein mit Artischocken gefülltes Kaninchen lassen ebenfalls keine kulinarischen Wünsche offen. Du solltest unbedingt auch das Gran Dessert bestellen, das bei unserem Besuch mit Leckereien wie eine Mousse aus Panforte, einem Semifreddo di Vin Santo, einer Kirsch-Crostata und einem Schokoladenkuchen begeisterte! Beeindruckend ist auch der Weinkeller, der rund 1000 verschiedene Weine umfasst.
Compagnia die Vinattieri, Via delle Terme 79, Siena
Sienas Dom – ein Meisterwerk der Architektur
Zum Dom müssen wir uns wieder ein wenig den Hügel hinaufquälen, er steht an der höchsten Stelle der Stadt. Aber als wir vor dem beeindruckenden Gebäude stehen, wissen wir, warum die Kirche als das schönste Bauwerk Sienas gilt. Die beeindruckende Zuckerbäckerfassade aus Marmor ist so unendlich detailverliebt, dass du Stunden davor verbringen kannst. Der Besucherandrang an der Kathedrale ist immer groß, für bestimmte Teile des Doms wie die Porta del Cielo musst du feste Besichtigungszeiten buchen. Tickets kannst du entweder online oder vor Ort kaufen – nimm auf jeden Fall die Option mit der Porta del Cielo!
Der Innenraum des Doms ist ein beeindruckendes Kunstwerk aus Mamor Der Boden der Kathedrale stammt dem 14. bis 16. Jahrhundert
Der Sieneser Dom gehört zu den schönsten Kirchen, die Italien zu bieten hat. Die gleichmäßig gestreifte Schwarz-Weiß-Maserung des Innenraums strahlt eine ruhige Eleganz aus. Der Blick nach oben lohnt sich ebenfalls: das Gewölbe der Kirche ist in dunklem Blau mit funkelnden Sternen gehalten. Die etwa 30-minütige Tour zur Pforte des Himmels, wie die obere Etage des Doms heißt, bringt dich den Sternen näher. Außerdem geht es nach draußen entlang der Kuppel des Doms. Ursprünglich sollte der Dom Sienas noch viel größer werden, der Bau des neuen Kirchenschiffs wurde aber durch einen Ausbruch der Pest nie fertiggestellt. Von der Porta del Cielo aus hast du auch einen perfekten Blick auf den beeindruckenden Boden der Kathedrale aus dem 14. bis 16. Jahrhundert. Er besteht aus 52 Bildern, die Bibelszenen und Episoden aus der Menschheitsgeschichte zeigen.
Das Dom-Museum
Nach der Dombesichtigung heißt es noch einmal Schlange stehen, um ins Dommuseum zu kommen. Im Museo dell’Opera del Duomo kannst du nicht nur die großartigen Originalfiguren der Domfassade bewundern, sondern den Facciatone besteigen. 131 Stufen führen auf die Spitze des Turms, von dem du einen fantastischen Panoramablick über die Dächer Sienas genießt. Auch die Krypta des Doms, die du über einen Eingang unterhalb des Doms erreichst, ist einen Besuch wert. Sie wurde erst zur Jahrtausendwende wiederentdeckt und darin in mühsamer Arbeit Fresken aus dem 13. Jahrhundert freigelegt.
Schwarz-weiß gestreift: Der Seitenflügel des Doms von Siena Kunst im öffentlichen Raum an der Piazza Duomo
Kulinarischer Tipp
Für den kleineren Geldbeutel oder für einen Mittagssnack ist die Osteria Permalico der ideale Ort. Zu wirklich moderaten Preisen kannst du drinnen und draußen eine große Tagliere mit Wurst- und Käsespezialitäten essen, den „Thunfisch aus dem Chianti“ probieren – eine Spanferkel-Spezialität der Region. Der günstige Hauswein passt hervorragend dazu. Die Osteria mit dem noch jungen und sehr humorvollen Team befindet sich nur 200 Meter vom Dom entfernt.
Osteria Permalico, Costa Targa 4, Siena
Der Palazzo Chigi-Saracini
Hohe Häuser, zusammengewürfelt wirkende Fenster machen die Stadtarchitektur von Siena aus Der Innenhof des Palazzo Chigi ist ein Pflichtbesuch in Siena
Nach unserer Kulturtour schlendern wir mit plattgelaufenen Füßen und einem leckeren Eis in der Hand über die Via di Città zurück, in der du gemütlich an den Schaufenstern von Kunsthandwerksshops oder Spezialitäten-Läden vorbeibummeln kannst. Beim Palazzo Chigi-Saracini machen wir noch eine kleine Pause im schnuckeligen Innenhof mit seinen wunderschönen Fresken und einem kleinen Brunnen aus der Renaissance, bevor wir in unsere Wohnung zurückkehren. Ein Espresso, ein Stück Panforte und viele Pläne für den nächsten Tag, an dem wir ins Chianti fahren wollen, wecken schnell wieder unsere Lebensgeister!
Kulinarischer Tipp
Panforte ist die süße Spezialität aus Siena. Den traditionellen Kuchen kannst du in zahlreichen Varianten kaufen. Der klassische Panforte Margherita besteht aus Mandeln, Mehl, getrockneten und kandierten Früchten, Honig, Zucker und verschiedenen Gewürzen wie Koriander, Nelken, Muskatnuss und Zimt. Traditionell sollen es 17 Zutaten sein, eine Zutat pro Contrada. Sehr lecker ist auch der Panforte nero mit Kakao, manchmal auch mit Peperoncino gewürzt. Wo es den besten Panforte gibt, darüber streitet man in Siena. Das Café Nannini (ja, die Sängerin Gianna Nannini ist Teil der Familie) bietet eine große Auswahl, aber beim Panforte zahlst du auch für den berühmten Namen). Sehr lecker (und etwas günstiger) ist auch der Panforte der Pasticceria Sinatti. Gut verpackt ist die Sieneser Spezialität übrigens ein hervorragendes Mitbringsel für Daheimgebliebene.
Noch ein nützlicher Tipp: Parken in Siena
Die Altstadt ist eine verkehrsberuhigte ZTL, in die du besser nicht reinfährst, denn das kostet saftige Strafen. Schilder markieren, wo die autofreie Zone beginnt. Rund um die Altstadt gibt es allerdings jede Menge Parkplätze zu moderaten Preisen. Kostenlos parken kannst du auf dem Campino San Prospero unterhalb der Fortezza Medicea. Auch entlang der Viale Vittorio Veneto gibt es jede Menge kostenfreie Parkplätze. Hier musst du aber auf die ausgeschilderten Termine der Straßenreinigung achten, die an den Reinigungstagen die Autos abschleppen lässt.
Noch mehr Toskana? In wenigen Tagen führe ich dich in der Fortsetzung des Reiseberichts durch das Chianti.
Georges Nassos
Danke schön für die Beschreibung.