Laura Melara-Dürbeck hat nicht nur in der TV-Show „Das perfekte Dinner“ den ersten Platz erkocht. Die gebürtige Italienerin vertritt in Frankfurt die Accademia Italiana della Cucina, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das gastronomische Erbe Italiens zu bewahren. Ein Gespräch über den Mythos der ‚Mamma’, die Ideenarmut italienischer Restaurants in Deutschland und die Vielfalt der italienischen Regionalküchen.
Frau Melara-Dürbeck, was bedeutet Essen für Sie?
Essen ist etwas, das ich gerne mit anderen teile. Essen ist ein Stück von mir, meiner Herkunft und Tradition. Es ist auch Kommunikation. Wichtig ist, sich für Essen Zeit zu nehmen, es zu genießen. Wenn ich diese Zeit nicht habe, dann esse ich ein Brötchen.
Das Interesse am Kochen ist derzeit groß wie nie. Gleichzeitig kann die breite Masse in Deutschland heute kaum noch kochen. Ist die Kochwelt wenigstens in Italien noch in Ordnung?
Die Küche in Italien ist auch in einer großen Krise. Sie wird immer mehr zur globalisierten Küche. Die ‚Mamma‘, die stundenlang mit dem Nudelholz in der Küche stand und das Bild im Ausland geprägt hat, ist eine Erinnerung der Vergangenheit. Die Frauen in Italien sind immer öfter berufstätig und es gibt immer weniger Familien und neugeborene Kinder. Im Ausland gilt Italien immer noch als Land, in dem die kleinen Bambini überall springen und die Mama ständig hinter dem Ofen steht. Das ist nicht mehr so. Wenn man in Supermärkten einen Blick in die Einkaufswagen wirft, dann liegt dort unheimlich viel Convenience Food drin.
Obwohl Italien einen Reichtum an Regionalküchen hat, servieren viele italienische Restaurants in Deutschland am liebsten Pizza, Pasta und Tiramisù. Wie kommt das?
Die italienische Küche, die man in Deutschland kennt, ist eine extrem vereinfachte Küche. Sie beschränkt sich auf vielleicht einmal 18 Gerichte. Vergleichen Sie drei, vier italienische Restaurants in Ihrer Umgebung. Sie werden feststellen, dass es standardisierte Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts gibt. Es sind immer die gleichen Gerichte.
Beweisen die Betreiber zu wenig Mut?
Die italienische Küche in Deutschland ist stehen geblieben. Meine Landsleute haben sich nicht weiterentwickelt, sondern machen oft immer noch dasselbe wie vor 50 Jahren. Damals servierten sie einen Teller Nudeln und die Deutschen waren glücklich. Seitdem haben sie sich an einer engen Auswahl von Gerichten festgehalten. Ohne neue Präsentationswege zu finden oder Rücksicht auf die Produkte zu nehmen, die für den Bekanntheitsgrad Italiens im Ausland von Bedeutung sind.
Trotzdem läuft italienische Küche besser denn je. Ketten wie Vapiano und L’Osteria überziehen Deutschland mit einem Filialnetz.
Es sind zwar viele gastronomische Produkte aus Italien geschützt. Es ist aber unglücklicherweise nicht möglich, die italienische Küche zu schützen. Vapiano oder L’Osteria haben ein total verqueres Konzept von italienischer Küche. Es klingt italienisch und das garantiert Erfolg. Im Grunde ist es eine Fälschung, die nur italienisch klingt. Den Ketten ist total egal, ob sie italienische oder andere Produkte verwenden. Wichtig ist, dass das Lokal voll ist und der Teller nur ein paar Euro kostet. Die italienische Küche im Ausland suggeriert, dass sie billig und schnell ist. Die italienische Komponente bei den Ketten existiert nur im Namen, dahinter ist Leere.
Was können die original italienischen Restaurants dem entgegensetzen?
Die Gastronomen müssen den Kontakt zum Heimatland halten und sich fortbilden. Sie müssen schauen, was die anderen machen. Das hat gefehlt. Die Gastronomen sollten fast als Pflicht immer ein oder zwei Gerichte aus ihrer eigenen Region auf die Karte nehmen. Das wäre für uns als Akademie ein Erfolg.
Geht es der Accademia Italiana della Cucina also vor allem um einen bewahrenden Umgang mit der Küche?
Wir wollen keine archaische Küche vermitteln. Das wäre Selbstmord. Man muss aber wissen, woher man kommt. Nur dann kann man innovativ sein. Innovation kommt immer mit dem Respekt vor der Vergangenheit. Wenn man nicht weiß, woher man kommt, hat man keine Orientierungspunkte.
Der Trend zum kulinarischen Einheitsbrei lässt sich aber auch in Italien beobachten.
Der Tourismus hat zu einer Vereinfachung der Speisekarte geführt. Wenn der Tourist in Palermo auf Sizilien ist und keine Nudeln mit Bolognese auf der Speisekarte findet, hat der Gastronom ein Problem. Denn dann kommt der Deutsche nicht mehr. Die Touristen erwarten ihre Nudeln mit Bolognese-Sauce auf der Karte, wenn sie in Italien sind. Egal in welcher Region – ob in Turin, Rom oder Rimini. Dadurch sind viele einheimische Rezepte verloren gegangen oder werden aufgrund des Massentourismus nur selten angeboten.
Ist die Vielfalt der italienischen Küche bedroht?
Die ‚Mamma‘ als Figur, mit der man die Küche identifiziert hat, ist verloren gegangen. Man versucht, diese gastronomische Geborgenheit wiederzufinden. Dadurch entsteht eine ganz einfache Küche. Es gibt eine große Bewegung in Italien, bei der private Leute ihre Häuser und Küchen für andere Menschen öffnen. Sie heißen Cesarini und bieten nur lokale Gerichte. Wenn Sie ein Saltimbocca alla Romana essen wollen, sollten sie auf jeden Fall zu einer Cesarina nach Latium oder Rom gehen. Aber in Bologna bekommen sie das nicht serviert.
Gibt es etwas, das die einzelnen Regionalküchen verbindet?
Italien ist sicherlich das Pastaland. Quer von Lampedusa bis in den Norden am Brenner oder im Piemont und Friaul sind Nudelgerichte ein gemeinsames Merkmal. Auch Olivenöl ist eine feste Zutat vom Süden bis zum Norden. Die dritte Gemeinsamkeit ist der Wein. Und in fast allen Regionalküchen spielt auch Fisch eine große Rolle. Diese vier Elemente prägen seit Jahrtausenden die Mittelmeerküche.
Gibt es denn sowas wie die Italienische Küche überhaupt?
Das Italien der hundert Städte und tausenden Campanili ist das Italien der hundert Küchen und tausend Rezepte. Da sind die Merkmale und Stärken unserer Küche. Der Begriff von der „italienischen Küche“ kommt aus dem Blickwinkel des Auslands.
Die Accademia Italiana della Cucina kümmert sich seit 1953 um das kulinarische Erbe Italiens. Wie wichtig ist die Küche für das Selbstverständnis des Landes?
Als die Akademie in den Fünfzigern von Orio Vergani gegründet wurde, war der Weckruf „La cucina italiana muore!“, die italienische Küche stirbt. 2003 wurde die Akademie vom italienischen Staat zum Kulturinstitut ernannt. Es geht nicht nur ums Essen oder gastronomische Tätigkeit des Kochens, sondern dahinter steht eine ganz wesentliche und wichtige Einordnung der Gastronomie, des Kochens und Essens als Kultur und Teil der Identität als Nation. Die Akademie ist auch entstanden, um die Tradition der verschiedenen Regionalküchen zu bewahren und für die Zukunft festzuhalten. Damit das kulturelle gastronomische Erbe nicht verloren geht.
Das Kochbuch „La Cucina – Die Originale Küche Italiens“, das die Akademie zusammengestellt hat, fällt komplett aus dem Rahmen im Vergleich mit üblichen Kochbüchern. Allein schon vom Umfang: fast 1000 Seiten, ganze 2000 Rezepte.
Das Buch ist eine gastronomische Volkszählung. Viele der Rezepte kennen selbst Italiener nicht. Sie stammen aus den Regionalküchen.
Ungewöhnlich ist auch, dass es kein einziges Bild im Buch gibt.
Es ist ein Kochrezeptbuch für Kenner und Liebhaber der gastronomischen Vielfalt Italiens. Man muss eine gewisse Fähigkeit und Selbstbewusstsein in der Küche haben. Es ist ein Buch, das viel Kenntnis voraussetzt. Wenn man sich die Rezepte zu anschaut, wird beispielsweise gesagt, man braucht 300 Gramm Tagliatelle und dann kommt die Anleitung für die Sauce. Es wird nicht beschrieben, wie man die Tagliatelle macht, sondern das wird vorausgesetzt. Man geht auch nicht davon aus, dass man vorgefertigte Nudeln kauft, sondern eigene zubereitet. Italiener brauchen dafür keine Bilder.
Warum sind gerade in Deutschland Kochbücher oft aufgemacht wie Hochglanz-Bildersammlungen mit Rezept?
Das Optische spielt eine große Rolle in vielen deutschen Kochbüchern. Aber noch mehr in denen, die aus dem englischen Markt übersetzt werden. Die Bücher sind immer im wunderschönen Layout, sehr bunt und einladend. Das Rezept an sich ist darin oft zweitrangig. Wenn ich immer Bilder brauche, um zu wissen, wie ein Gericht aussehen soll, heißt das, dass eine gewisse Kochfähigkeit verloren gegangen ist. Man muss ein Wissen vermitteln, das innerhalb von einer Generation verschwunden ist.
Geht es in italienischen Kochbüchern also mehr ums Kochen?
In vielen Kochbüchern vermittelt man nicht nur ein Rezept, sondern auch geschichtliche oder kulturelle Besonderheiten einer Region. Das verschwindet in den italienischen Büchern. Man setzt die kulturellen Elemente voraus. Quasi als genetisches Erbe. Fotos mit der Mama, die Nudeln macht, braucht nur das Ausland, Italien aber nicht.
Zur Rezension von „La Cucina“ geht es hier lang!
Tagliatelle mit Bolognesesauce (Tagliatelle Al Ragù)
Zutaten
- 300 g Tagliatelle
- 30 g Butter
- 1 EL Lardo gehackt
- 1 Stange Sellerie gehackt
- 1 Möhre gehackt
- 1 Zwiebel gehackt
- 150 g Schweinehack
- 100 g Kalbshack
- 100 g Hühnerbrust in Stücke geschnitten
- Salz
- Pfeffer
- 100 ml Rotwein trocken
- 300 g Tomaten geschält
- 1 TL Tomatenmark
- Parmigiano Reggiano gerieben
Zubereitung
- In einem Topf (vorzugsweise aus Ton) Butter und Speck erhitzen. Sellerie und Möhre darin anschwitzen und bei niedriger Hitze 10 Minuten köcheln lassen.
- Das Schweine-, Kalb- und Hühnerfleisch in den Topf geben und anbraten. Salzen und pfeffern und nach einigen Minuten den Wein dazugießen. Weiterschmoren, bis dieser verdampft ist.
- Dann Tomaten und das Tomatenmark dazugeben und die Sauce zugedeckt noch etwa 80 Minuten bei niedriger Hitze schmoren lassen. Dabei häufig mit einem Holzlöffel umrühren und mit einer Gabel das Hackfleisch zerteilen.
- Wenn die Fleischsauce beinahe fertig ist, ein Glas Milch hinzugeben und unterrühren. In der Zwischenzeit die Tagliatelle in reichlich Salzwasser bissfest kochen, vorsichtig abgießen, in den Topf geben und mit der Fleischsauce vermischen.
- Umrühren und dabei etwas Parmesan unterheben, damit sich die Nudeln und Sauce besser verbinden.
Schreibe einen Kommentar