Die Toskana ist für viele Deutsche die große italienische Bilderbuchregion. Ein traumhafter Ort mit geschwungenen Hügeln, endlosen Zypressenalleen und einem befreiten Leben zwischen Olivenhainen und Weinbergen. Soweit der Mythos. Cettina Vicenzino, prämierte Kochbuch-Autorin mit sizilianischen Wurzeln, beäugte ihn lange Zeit kritisch. Für ihr neues Buch „Toskana in meiner Küche“ hat sie sich auf eine Entdeckungsreise durch die Region begeben, um das Geheimnis ihrer Anziehungskraft in Rezepten und Geschichten zu ergründen. Im Interview verrät Cettina Vicenzino, was toskanischen Minimalismus ausmacht, wieso die Toskana-Sehnsucht der Deutschen so groß ist und warum sich Rezepte immer weiterentwickeln sollten.
Ein Buch über die Toskana-Küche stand nicht unbedingt auf deiner Bucket-List. Warum hast du dich trotzdem entschieden, es zu schreiben?
Es gibt so viele Regionen in Italien, die sehr schön sind und über die man eigentlich ein Kochbuch machen müsste. Für mich war die Toskana immer eine Gegend, über die es schon viel zu viel gab und ich habe mich gefragt, was man dazu noch mehr machen will. Deshalb habe ich immer abgelehnt, wenn ich gefragt wurde, ob ich ein Toskana Buch schreiben wolle. Dann kam eine Anfrage vom DK Verlag. Ich habe mich schließlich überzeugen lassen, weil ich gemerkt habe, dass ich auch nur diese traumhaften Toskana-Bilder vor Augen habe, die man überall sieht. Das war mir immer zu viel Kitsch. Für mich war klar, dass ich selbst einmal sehen muss, ob das wirklich alles so schön ist. Ich war neugierig und wollte schauen, was die Leute verzaubert.
Was hast du als Beobachterin über die Toskana gelernt?
Die Bewohner der Toskana sind gastfreundlich, aber auf eine distanziertere Art als in Sizilien. Die haben klare Grenzen, die manche Sizilianer nicht kennen. Wirklich erstaunt war ich über das Essen.
Wieso das?
Es ist unglaublich einfach. Es heißt immer, im Süden sind die armen Regionen, wo es nur cucina povera, das Arme-Leute-Essen, gibt. Ich habe die sizilianische Küche aber nie als Arme-Leute-Küche betrachtet, denn sie ist sehr reichhaltig und fantasievoll. Eine solche Vielfalt hat die Küche der Toskana nicht. Sie beschränkt sich auf einige Sachen, die wiederholt werden. Natürlich gibt es auch Sterneküche, die innovativ ist. Aber ich hatte den Eindruck, dass die Küche der Toskana insgesamt sehr traditionell ist und eher dem Begriff cucina povera entspricht. Für eine reichere Region fand ich das erstaunlich.
Du hast dich bei den Rezepten im Buch nicht für eine Aneinanderreihung von traditionellen Gerichten entschieden. Stattdessen hast du dich von toskanischen Zutaten inspirieren lassen und bekannte Rezepte neu interpretiert. Warum hast du diesen Ansatz gewählt?
Es gibt schon so viele toskanische Kochbücher und die Gerichte wurden einfach zu oft wiederholt. Das musste ich nicht noch ein weiteres Mal machen. Eine Kultur sollte nicht stehenbleiben, sondern sich weiterentwickeln – auch in den Rezepten. Früher dachte ich, dass die Rezepte meiner Mutter die besten der Welt sind und ich nichts anderes bräuchte. Irgendwann habe ich kapiert, dass das Blödsinn ist. Wir haben in Italien so viele gute Produkte, mit denen man Rezepte weiterentwickeln kann und daraus entstehen wieder tolle, neue Sachen. Das habe ich im Toskana-Buch fortgesetzt. Man kann variieren und die Toskana als Zutat benutzen.
So wie bei den frittierten Salbeiblättern. Dort hast du das einfache Gericht mit einer Füllung aus Sardellen, Pecorino und Kapern ergänzt. Kommen dort deine sizilianischen Wurzeln durch?
Ich muss zugeben, dass ich frittierte Salbeiblätter lange Zeit missverstanden habe. Ich dachte, das wäre mehr. In meiner Vorstellung waren sie immer gefüllt. Ich hatte den Wunsch, noch etwas zu dem Gericht hinzuzugeben. Und deshalb habe ich sie einfach gefüllt und mit Sicherheit ist dort das Sizilianische rausgekommen. Wir haben in Sizilien Frikadellen auf Zitronenblättern. Vom Optischen her erinnert mich der frittierte Salbei daran.
Du hast auch wieder eigene Rezepte kreiert wie die Torta del Nonno als Antwort auf die Torta della Nonna. Wie viele Versuche brauchst du im Schnitt, bis ein selbstentwickeltes Rezept steht?
Bei der Torta del Nonno war schon der zweite Versuch für mich super. Bei der Torta all’Olio con Zafferano, ein Olivenölkuchen mit Safran, habe ich mit Sicherheit zehn Versuche gebraucht. Ich wollte den Kuchen, den ich bei Dario Cecchini zum Nachtisch gegessen hatte, unbedingt eins zu eins nachmachen. Nur wusste ich weder, was da drin ist, noch hatte ich ihn genau in Erinnerung. Ich hatte nur unscharfe Fotos davon und konnte mich ungefähr am Aussehen orientieren. Dann habe ich viel überlegt und alles Mögliche ausprobiert.
Was hat dich bei den Rezepten währen deiner Reise durch die Toskana mehr inspiriert – die Produkte, die kulinarische Tradition oder die Menschen, die du kennengelernt hast?
Eigentlich alles drei zusammen. Ich liebe Produkte und fixiere mich gerne darauf. Es ist immer die Basis, um etwas daraus zu machen. Aber auch die Tradition, wie die Toskaner damit umgehen. Und natürlich die Menschen. Ich habe verschiedene Menschen kennengelernt wie Valeria Piccini, die sowohl traditionelle wie innovative Sachen macht. Ihre Gedanken fand ich richtig schön. Sie hat zwei Restaurants – eins, in dem es traditionelle Küche gibt. Und ein weiteres, wo sie eigene Kreationen auf Basis der toskanischen Küche zubereitet. Solche Menschen inspirieren mich, meine Rezepte zu kreieren.
Ist die Toskana wegen des Minimalismus in der Küche etwas für Puristen?
Für mich ist das der Grund, weshalb die Toskana etwas Besonderes ist. Sie ist ein schöner Ort, um zu sich zu kommen und alles Überflüssige wegzulassen. Das kann man in der Küche auch so machen. Ich muss da an die Bistecca alla Fiorentina denken – es geht nur um ein gutes Stück Fleisch. Auch die Brote wirken sehr ursprünglich.
Dein Buch ist mehr Lese- als Kochbuch. Wie wichtig ist dir der Ansatz, mehr als eine Rezeptsammlung zu präsentieren?
Wenn es um die Kultur geht, ist ein Kochbuch der schönste Ansatz, weil man durch das Essen eine Kultur am besten verinnerlichen kann. Aber Rezepte allein bringen mir eine Kultur trotzdem nicht näher. Es geht nicht nur ums Sattwerden, sondern ich esse ganz anders, wenn ich die Geschichte oder den Hintergrund eines Gerichts kenne. So wünsche ich mir Kochbücher und deshalb mache ich sie auf diese Weise.
Warum glaubst du, fahren gerade so viele Deutsche in die Toskana?
Ich habe die Antwort nicht wirklich gefunden. Ich hatte das Gefühl, die sind alle eher zufällig dort gelandet. Interessant ist, dass die meisten Deutschen, die die Toskana so sehr lieben, über sie so reden, als gebe es diese Dinge nur in der Toskana: Dolce Vita, gutes Essen und Kultur.
Hast du denn rausgefunden, was die Toskana-Sehnsucht ausmacht?
Die Sehnsucht ist vermutlich mit den Vorstellungen der Toskana-Fraktion entstanden. Es muss was mit dem gemeinsamen Essen der Familie, dem Zusammenhalt und einem Gefühl des Genießenkönnens zu tun haben. Das, was man sich in Deutschland vielleicht nicht gönnt oder was man sich verbietet. All das hat man in die Toskana projiziert.
Hat sich dein Verhältnis zur Toskana durch die Arbeit am Buch gewandelt?
Ich bin froh, dagewesen zu sein. Weil vieles von dem gar nicht stimmt, was man über die Toskana zu wissen glaubt. Ich habe mich selbst gewundert, dass ich die Region doch mag. Nicht dieses verträumte, idealisierte Bild… Ich habe die Toskana anders erlebt und sehe sie jetzt positiver.
Cettina Vicenzino
„Toskana in meiner Küche“
(DK Verlag)
ISBN 978-3-8310-4172-5, 240 Seiten, 28 €
Gastrezept: Brotfrikadellen in Tomatensauce
Zutaten
Für die Frikadellen
- 250 g altbackenes Weißbrot in Stücke geschnitten
- 100 ml Milch 3,4% Fett
- 80 g Pecorino mittelalt, gerieben
- 2 getrocknete Tomaten in Öl eingelegt, zerkleinert
- 1 Zehe Knoblauch geschält und gehackt
- 3 EL glatte Petersilie gehackt
- 2 Eier Größe S
- Meersalz
- schwarzer Pfeffer
- Olivenöl beste Qualität
Für die Sauce
- Olivenöl beste Qualität
- 2 Zehen Knoblauch geschält und in dünne Scheiben geschnitten
- 400 g passierte Tomaten
- 200 ml Sangiovese oder anderer Rotwein
- Meersalz
- schwarzer Pfeffer
- glatte Petersilie gehackt, zum Bestreuen
Zubereitung
- Für die Frikadellen das Brot einige Minuten in Milch einweichen, dann leicht ausdrücken und mit Pecorino, Tomaten, Knoblauch und Petersilie in einer Schüssel gut mischen. Die Eier verquirlen, nur schluckweise dazugeben und die Masse durchkneten. Nur so viel Ei dazugeben, bis der Teig eine weiche, aber formbare Konsistenz hat. Diesen mit Salz und Pfeffer abschmecken. Sollte der Teig zu trocken sein, etwas Milch dazugeben. Aus der Masse acht flache Frikadellen formen.
- Etwas Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und die Frikadellen darin auf allen Seiten goldgelb braten.
- Für die Sauce in einer weiteren Pfanne Öl erhitzen und den Knoblauch darin nur leicht Farbe annehmen lassen. Die Tomaten und den Rotwein dazugeben und die Sauce etwas einkochen lassen. Die Tomatensauce mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Frikadellen hineingeben und darin etwa 5 Minuten ziehen lassen. Das Gericht zum Schluss mit Petersilie bestreuen, mit etwas Olivenöl beträufeln und servieren.
Anna
Danke für das tolle Interview! Ich mag die Bücher von Cettina Vicenzino irrsinnig gern und jetzt hab ich Lust auf die Toskana!
Birgitt Balser
Ich war vor ca 30 Jahren das erste Mal in meinem Leben in der Toskana mit meinem Mann. Das war dann auch das letzte Mal, wenn wir haben daran keine guten Erinnerungen. Das Interview hat mich dann doch wieder neugierig gemacht. Vielleicht kann mir dieses kochbuch helfen einen neuen Zugang zur Toskana zu gewinnen!?
Antje Watermeyer
Cettina schreibt mehr als nur Kochbücher. Sie inspiriert und verführt, mehr über Land und Leute kennen zu lernen. Ihre Fotos sind wahnsinnig schön, ihre Rezepte überraschend anders- italienisch, ihre Texte voller Hingabe!
Caro
Dein Interview lädt geradezu ein, auf eine kulinarische Reise mit dem Kochbuch zu gehen. Wir lieben die Toscana seit vielen Jahren und entdecken besonders gerne auch die kleinen Ortschaften und fragen die Einheimischen nach Tipps. Sehr gerne würden wir uns mit dem Kochbuch ein Stück bella Italia nach Hause holen und schon bald kreativ den Kochlöffel schwingen. Herzliche Grüße, Caro
Simone
Ich bin noch Toskana-Anfänger, aber in Florenz war es Liebe auf den 1. Blick.
Sonja
Die gastronomische Kultur Toscana ist einfach wunderbar. Und in vielen Dörfern findet man noch Osterie abseits der Touristenströme. Tolles Öl, kerniger und doch eleganter Sangiovese, Pecorino, Panzanella, Pappa al Pomodoro – einfachste aber großartige Gerichte. Gleichzeitig bin ich sehr angetan von Cettina Vicentinos Weiterentwicklungen.
Andrea Wiegmann
das Rezept werde ich gleich testen ,hört sich lecker an mit Pecorino und getrockneten Tomaten. Wir fahren seit über 20 Jahren jedes Jahr in die Toskana
Martina
Ein schönes Gespräch mit Cettina. Italien mag ich sehr, der Vorgänger Sizilien in meiner Küche ist wunderschön und dieses Rezept liest sich so schlicht und ist dabei so aromatisch und ein echtes Wohlfühlgericht. Danke! Auch für die Verlosung.
Barbara
Um dieses Buch schleiche ich schon länger drumherum, jetzt weiß ich, dass ich es wirklich gerne hätte. Die einfache pure Art zu kochen, spricht mich total an. Vielleicht habe ich Glück und Gewinne eines der Bücher, wenn nicht kommt dann ja noch Weihnachten.
Dominique
Ich würde mich sehr über dieses tolle Buch freuen. Ich war bereits mehrere Male in der Toscana und habe sehr schöne (Essens-) Erinnerungen an die Zeit dort.
Sonja
Schönes Interview!
Cettina Vicenzinos Ansatz gefällt mir sehr.
Anke
Ein sehr schönes Interview, das auf jeden Fall Lust auf mehr macht. Gerade in der dunklen und kalten Winterzeit kann jeder ein Stück Toscana gebrauchen :-)
Herzlichen Glückwunsch zum Premio ENIT