Ihr einst verstaubtes Image hat die jüdische Küche abgelegt. Längst gilt sie als Trend-Küche, bringt neue Gerichte mit frischen Ideen hervor. Yotam Ottolenghi hat mit seinen Fusion-Rezepten sicherlich gute Vorarbeit geleistet, doch er ist nicht der einzige Erneuerer in der kulinarischen Szene. Einen guten Eindruck von der Vielfalt jüdischer Küche konnte man 2017 beim Food-Festival Nosh Berlin bekommen, das die deutsch-amerikanische Food-Journalistin Liv Fleischhacker mit ins Leben gerufen hat. Für das Kochbuch „Masel Tov! Die moderne jüdische Küche in aller Welt“ hat sie zusammen mit dem Koch Lukas Grossmann zahlreiche Köche und Protagonisten der jüdischen Kulinarik-Szene portraitiert und ihre Rezepte zusammengetragen. Ein Gespräch mit Liv Fleischhacker über Innovation, Verbote und Berührungsängste in der jüdischen Küche.
In der jüdischen Küche finden sich Elemente aus vielen anderen Küchen, die sich gegenseitig immer wieder beeinflusst haben. Ist die jüdische Küche eine Art roter Faden zwischen den einzelnen europäischen Küchen bis hin zur amerikanischen Küche?
Es ist auf jeden Fall einer der roten Fäden. Schau dir nur die Bagels an. Die stammen aus Osteuropa, aus der Ecke Polen und Russland, wurden dann durch emigrierte Juden in die USA gebracht und sind als amerikanisches Trendgebäck wieder zurück nach Mitteleuropa gekommen. Und da zieht sich ganz klar einmal ein Kreis. Jüdische Küche ist im Endeffekt Weltküche, wie Haya Molcho im Buch so schön beschreibt. Es ist die Küche von einer migrierten Population, die sich überall adaptiert und immer wieder etwas mitgenommen und weiterentwickelt hat.
Wie wichtig ist die jüdische Küche für die Identität angesichts der weltweiten Diaspora?
Essen spielt einfach eine unglaublich große Rolle, in welcher Form auch immer. Ob man essen geht oder ob man zuhause kocht, ob die Rezepte weitergegeben wurden von der Familie oder ob sie von der Schwiegermutter kommen. Auch wenn in der Diaspora vieles verloren gegangen ist, kann man sich immer noch an Rezepte erinnern, die man mit seiner Großmutter früher gemacht hat. Oder die Großmutter hat die Rezepte aus der Alten Welt mitgebracht und jetzt kocht man sie in der neuen Welt nach. Das hat ganz viel mit Familiengeschichte zu tun, mit Identifikation. Auf diese Weise wird auch die Geschichte erhalten.
Was macht gute jüdische Küche aus?
Für mich steht sie für gutes Essen, das mit Liebe zubereitet wurde. Wo jeder Handgriff was bedeutet und wo gute Zutaten benutzt werden. Alles in Maßen, nicht zu viel, am besten auch noch saisonal. Mit Liebe und mit Obacht und Respekt fürs Essen. Aber das würde ich auch über Essen generell sagen und nicht nur über die jüdische Küche.
Wie traditionsgebunden ist die jüdische Küche generell?
Sie hat einen Fuß in der Geschichte und in den Familienrezepten. Manche Gerichte sind nicht mehr modern, werden aber trotzdem gekocht, weil sie geschichtsträchtig und wichtig sind. Gleichzeitig wirft sie aber auch einen Blick in die Zukunft. Eins der Rezepte im Buch, der Gefilte Fisch, zu dem viele Menschen schlechte Assoziationen haben, wurde von Itay Novik ganz neu konzipiert und mit Rote-Beete-Sorbet serviert. Vieles in der jüdischen Küche ist heute ein bisschen moderner, innovativer und nicht mehr ganz so schwer, wie es viele Menschen mit ihr in Verbindung bringen.
Die jüdische Küche ist ja von ganz vielen Verboten und ganz vielen Vorschriften geprägt. Ist das noch zeitgemäß? Wie wichtig ist koscheres Kochen heutzutage überhaupt noch?
Jüdische Küche ist nicht gleich koschere Küche. Koschere Küche hat einen religiösen Kontext und es ist wichtig für die, die der Religion folgen. Für andere Menschen ist es eher unwichtig. Die Rezepte in meinem Buch sind auch nicht koscher. Denn wenn koschere Rezepte in einer nicht koscheren Küche zubereitet werden, bringt das alles nichts.
Wo finden denn die Innovationen in der jüdischen Küche heute statt – in Israel oder woanders auf der Welt?
Tel-Aviv ist zwar Hotspot und die neueste Food-Hauptstadt. Da passiert einfach unglaublich viel und die Köche dort haben Zugang zu unglaublichen frischen Produkten. Das habe ich zum Beispiel in Berlin allein wegen des Klimas nicht. Aber Innovationen kommen oft aus wenig heraus und passieren überall.
War das auch der Gedanke hinter dem Food-Festival Nosh Berlin?
Zusammen mit Laurel Kratochvil, die ich auch in „Masel Tov!“ portraitiere, habe ich 2017 das erste Nosh gemacht. Wir wollten der jüdischen Küche ein bisschen mehr Raum geben. Um die Vitalität der Küche und ihre Diversität zu zeigen. Wir hatten eine Woche voller Podiumsdiskussionen, Lesungen, Filmvorführungen, bei denen sich alles ums Essen gedreht hat. Es gab Workshops, zu denen viele Menschen aus Israel und den USA eingeflogen sind. Überall in der Stadt hatten wir verschiedene Events, ein paar in Synagogen, in Kinos und in der Markthalle Neun. Es war eine bunt durchgemischte Woche, die jüdisches Essen zelebriert hat.
In Berlin sind in letzter Zeit einige Restaurants aufgepoppt, die jüdische Küche anbieten. Ist das bislang ein Großstadt-Phänomen aus Berlin oder spürst du einen Trend, der sich in ganz Deutschland bemerkbar macht?
Haya Molcho hat mit ihrem Neni Restaurant inzwischen schon Filialen von Wien bis Hamburg. Ich denke, da passiert generell etwas. Klar fängt es in Großstädten an, aber ich kann mir zum Beispiel israelische Hummus-Stände in ganz Deutschland vorstellen. Es wird jetzt nicht von heute auf morgen passieren, aber es kommt…
Gibt es in Deutschland Berührungsängste mit der jüdischen Küche?
Berührungsängste vielleicht nicht, aber eine bestimmte Vorsicht und auch irgendwie respektvolle Distanz. Es ist immer noch ein Thema, das sehr vorsichtig angefasst wird. Was ich auch nachvollziehen kann.
Liv Fleischhacker und Lukas Grossmann
„Masel Tov! Die moderne jüdische Küche in aller Welt“
(Christian Verlag)
ISBN 978-3-95961-184-8, 224 Seiten, € 29,99
Liv Fleischhackers Gastrezept
Gefillte Fisch mexikanisch aus „Masel Tov!“
Zutaten
Fischklößchen
- 800 g Red Snapper- oder Kabeljaufilet ohne Haut
- 2 Zwiebeln
- 2 Karotten klein, ca. 100 g
- 3 Eier
- 60 g Matzemehl
- Salz
- frisch gemahlener Pfeffer
Oliven-Kapern-Sauce
- 1 Zwiebel
- 2 EL Pflanzenöl
- 400 ml Fischfond
- 400 g Tomaten stückig, aus der Dose
- 2 EL Ketchup
- 100 g Manzanilla-Oliven mit Pimientos gefüllt
- 100 g Peperoni klein und eingelegt
- 2 EL Kapern
Zum Anrichten
- geröstetes Maisbrot oder frische Tortillas
Zubereitung
- Das Fischfilet gründlich säubern, entgräten und waschen. Dann gut trocken tupfen und grob würfeln. Die Zwiebeln schälen und fein würfeln. Die Karotten schälen und grob reiben.
- Die kalten Fischfiletstücke in einer Küchenmaschine (Cutter) zu einer groben Paste mixen. Die grobe Fischfarce in eine große Schüssel geben. Dann die Karotten, die Zwiebeln, die Eier und das Matzemehl ebenfalls in die Küchenmaschine geben und fein mixen. Die Masse zu der Fischfarce geben und zu einer homogenen Masse vermengen. Die Mischmasse mit Salz und frisch gemahlenem weißen Pfeffer abschmecken und kalt stellen.
- Die Zwiebel schälen und fein würfeln. Das Pflanzenöl in einer hohen Pfanne auf mittlere Temperatur erhitzen und die Zwiebel darin etwa 5 Minuten glasig schwitzen. Dann den Fischfond aufgießen und die Tomaten sowie den Ketchup hinzufügen. Die Sauce zum Kochen bringen und bei milder Temperatur 10 Minuten köcheln lassen, bis sie leicht eingekocht ist.
- Inzwischen aus der kalten Fischmasse mit feuchten Händen 12 ovale, leicht flache Klößchen formen. Diese anschließend nebeneinander in die Sauce setzen. Die Pfanne mit einem Deckel verschließen und die Klößchen 15 Minuten–20 Minuten sanft garen.
- Jeweils die Hälfte der Oliven und der Peperoni in Ringe schneiden und zusammen mit 1 EL Kapern zur Sauce geben. Alles weitere 5 Minuten köcheln lassen. Die restlichen Oliven, Perperoni und Kapern auf einem Servierteller anrichten.
- Die Fischklößchen auf 4 Teller verteilen und mit der Oliven-Kapern-Sauce bedecken. Die restlichen Oliven, Peperoni und Kapern in einem separaten Teller dazu reichen. Dazu passen am besten geröstete Maisbrotscheiben oder frische Tortillas.
Rezept und Fotos mit freundlicher Genehmigung des Christian Verlags.
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