Capri – das ist mehr als die blaue Grotte und eine rote Sonne, die kitschbefrachtet im Meer versinkt. Capri sind auch unzählige Seiten Literatur, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten angesammelt haben. Lange Zeit war Capri Rückzugsort für Kaiser, Dandys, Künstler und Philosophen und eins der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Heute steht die Insel unweit von Neapel vor allem für Massentourismus zu hohen Preisen. Mit seinem Buch „Die Insel Capri. Ein Portrait“ spürt Italien-Kenner Dieter Richter dem Mythos und den Schönheiten der Mittelmeerinsel nach. Im Interview verrät der Bremer Kulturwissenschaftler, warum Capri für die Sehnsucht nach dem Süden steht, welche kulinarischen Highlights die Insel bietet und wo man die schönsten Orte der Insel findet.
Was macht Capri so schön?
Dass es eine schöne Insel ist, würde ich generell nicht sagen. Es ist eine besondere und vielfältige Insel mit einer langen Tradition. Man kann auf Capri Spuren lesen, die weit in unsere Geschichte reichen.
Woher kommt die Faszination der Deutschen mit Capri?
Die Liebe zu Capri rührt aus der Deutschen Romantik. Überhaupt die Liebe zu dieser Gegend am Golf von Salerno. Im Falle von Capri hängt das stark mit der Entdeckung der Blauen Grotte durch den Dichter und Maler August Kopisch zusammen. Sie wurde in Deutschland vielfach durch Märchen, Gedichte und Erzählungen verbreitetet. Das hat die Deutschen als eine romantische Nation nach Capri gezogen.
Auf der einen Seite steht das romantische Bild von Capri, auf der anderen der Massentourismus. Wieviel Ursprünglichkeit findet man noch auf Capri?
Wenn man heute nach Capri fährt und das noch an einem Wochenende oder Feiertag, braucht man ein starkes Herz, um nicht geschockt zu werden. Die Schönheiten der Insel gibt es tatsächlich noch hinter der massentouristischen Flut, die über die Insel wogt. Wenn man vorher ein bisschen was gelesen hat, wenn man mutig ist und von den Hauptsehenswürdigkeiten wie der Blauen Grotte und der Villa San Michele absieht, kann man sie entdecken. Ich würde ohnehin niemandem empfehlen, die Blaue Grotte auf touristische Weise zu besuchen. Das läuft heutzutage auf eine Enttäuschung hinaus.
Wie sollte man die Blaue Grotte dann besuchen?
Ich bin mehrfach in die Blaue Grotte reingeschwommen. Am Abend ist das möglich, wenn die Boote abgezogen sind. Das ist natürlich ein Erlebnis. Man kann sich auch privat mit einem Ruderboot reinbefördern lassen. Wenn man Tagestourist ist, ist man aber auf das touristische Angebot angewiesen.
Wo verläuft der schönste Wanderweg auf Capri?
Der führt von der Punta Carena, das ist das Kap mit dem Leuchtturm, an der nördlichen Küste entlang. Er wurde erst vor wenigen Jahren eingerichtet und man geht über Klippen auf engen Wegen entlang, längs der alten Befestigungen der Engländer. Dort können Sie ein, zwei Stunden unterwegs sein und begegnen kaum einer Seele. Sie können auch auf dem Monte Solaro steigen und haben dort sehr schöne Wandermöglichkeiten. Oder Sie laufen über die Hochebene von Anacapri und haben am Ende ein unglaublich schönes Panorama auf das Meer.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Capri sei eine Chiffre für die Sehnsucht nach dem Süden. Warum ausgerechnet Capri?
Das hängt mit der Capri-Tradition zusammen. Die fängt mit der Romantik an. In Deutschland ist zahlreiche schwärmerische Literatur über Capri erschienen. Vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert und das setzt sich fort mit dem Schlager von den Capri-Fischern in den Fünfziger Jahren. Das Lieblingsreiseziel der Deutschen in den Fünfziger Jahren war Capri. Mit dem Ort hat sich die Sehnsucht nach dem Süden lange Zeit verbunden. Ich bin mir nicht sicher, ob das heute noch immer so ist. Ob dieser Mythos noch genauso wirkungskräftig ist oder ob er in Deutschland zu verblassen beginnt.
Warum zieht es so viele Menschen überhaupt in den Süden?
Die Reise in den Süden hat bei uns eine lange Tradition. Das fängt mit der Pilgerreise nach Rom im Mittalalter an und geht mit der Bildungsreise im 19. Jahrhundert weiter. Wir sind südorientiert. Und dazu kommt die Meridionalisierung Deutschlands hinzu. Eine Versüdlichung, die sich seit ein paar Jahren beobachten lässt. Die Kultur der Piazza ist plötzlich architektonisch angesagt. Zudem spielt die italienische Gastronomie eine große Rolle. Im Süden möchte man das finden, was man in Deutschland nur im Ansatz hat. Das Problem ist, dass man es dort vielleicht nicht findet. Aber es erklärt, warum Italien neben Spanien das beliebteste Reiseziel ist.
Welche Reisezeit empfehlen Sie für Capri?
Empfehlen kann ich überhaupt keine Reisezeit. Es hängt davon ab, was ich finden möchte. Wenn Sie Luxus genießen möchten, müssen Sie im Sommer fahren. Wenn sie wandern wollen, im Herbst oder Frühjahr. Ich bin einmal im Januar dort gewesen und es ist genauso umwerfend, weil es dann eine tote Insel ist. Nahezu alle Restaurants und Geschäfte sind geschlossen. Sie haben eine Insel ganz für sich alleine und sehen nur ein paar Menschen, die dort leben. Das ist umwerfend. Dennoch würde ich nicht sagen, fahren Sie im Januar hin. Das kann furchtbar sein, weil es kalt und stürmisch ist.
Was für Menschen sind die Capresen?
Sie schimpfen furchtbar viel über ihre Insel. Oder sie kritisieren die Verwaltung, den Bürgermeister. Sie jammern über den Tourismus und ziehen im Grunde doch nicht die Konsequenz und gehen weg. Sondern sie lieben ihre Insel und den Trubel. Auch die Capresen, die in Neapel wohnen, kommen im Sommer wieder zurück. Sie schimpfen dann, genießen es aber auch, dort zu sein.
Gibt es denn sowas wie ein Capreser Dorfleben noch in dem touristischen Trubel?
Ich habe mich oft gefragt, wo die Bevölkerung bei sich ist und wo es im ethnologischen Sinn so etwas wie Gemeinsamkeit und Identität gibt. Bei den Heiligenfesten, also bei den Patronatsfesten auf der Insel, wo das Dorf mehr oder weniger unter sich ist, habe ich es am ehesten gefunden.
Welche kulinarischen Spezialitäten sollte man auf Capri probieren?
Es gibt die Torta Caprese, ein Schokoladenkuchen mit Nüssen, der der Sachertorte ein wenig ähnelt. Die ist wunderbar auf Capri, aber es gibt sie auch an der Amalfiküste. Dann der Insalata Caprese mit aufgeschnittenen Tomaten, Mozzarella und Basilikum dazu. Aber das bekommen sie, wenn auch nicht so gut, genauso in Deutschland. Eine kulinarische Besonderheit auf Capri sind die Ravioli Capresi. Sie haben eine andere Form, sind aus einem leichteren Kartoffelteig gemacht und haben eine wunderbare Tomaten-Füllung.
Was ist ihr persönlicher Lieblingsort auf Capri?
Das Belvedere delle Noci. Das ist ein Aussichtspunkt mit einem grandiosen Blick übers Meer.
Dieter Richter
„Die Insel Capri. Ein Portrait“
(Verlag Klaus Wagenbach)
ISBN 978-3-8031-2795-2, 224 Seiten, € 14,90
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