Auch wenn sich die Augen der Touristen meist auf den Gargano richten, bietet Apulien weitere tolle Reiseziele und jede Menge unentdeckte Flecken. Der Tavoliere und der Subapennin Dauno in der Provinz Foggia sind solche Gegenden, die vom Tourismus weitestgehend unberührt geblieben sind. Ausländische Gäste gibt es in den Bergdörfern nahe der Grenze zu Kampanien kaum, dafür italienisches Leben hautnah. Welche Orte einen Besuch lohnen, verrate ich dir in diesem Teil der Rundreise durch Apulien. Auch wenn die touristische Infrastruktur in den Bergdörfern nicht besonders gut ausgebaut ist, lässt es sich im Subapennin Dauno hervorragend wandern.
Im Rückspiegel schimmert noch der Bergkamm des Gargano, während sich kurz hinter Manfredonia in Richtung Foggia die Landschaft immer weiter öffnet. Vor uns liegt der Tavoliere – die größte Ebene Süditaliens. Fruchtbares Land und seit Jahrtausenden eine der Kornkammern Italiens. Riesige Felder reihen sich dicht an dicht, im Spätsommer meist abgeerntet und von der Sonne verbrannt. Eine unwirkliche Landschaft in einem Meer aus Brauntönen. Ab dem Frühjahr erstrahlt sie jedes Jahr aufs Neue in sattem Grün.
Foggia, die Provinzhauptstadt lassen wir im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Denn wir sind unterwegs in den westlichsten Zipfel Apuliens – den Subapennin Dauno. Die Grenzregion zwischen Kampanien und Apulien ist bald schon in Sichtweite. Mit Bergen, die mit bis zu 1.100 Metern am Himmel kratzen, wird es in Apulien nicht höher. Eine ganze Reihe kleine, einsame Orte mit sehenswerten Altstadtkernen wie Troia, Bovino, Pietramontecorvino oder Roseto Valfortore liegen dort in wenigen Kilometern Nachbarschaft. Einfach zu erreichen sind sie trotzdem nicht, denn die Wege von Dorf zu Dorf schlängeln sich kurvenreich durch die baumreiche Landschaft.
Pietramontecorvino – mit Tuff verwachsenes Centro Storico
Auf moderaten 450 Metern Höhe liegt mit Pietramontecorvino ein besonderes Highlight. Das Auto lassen wir nahe der kleinen Altstadt auf einem winzigen Parkplatz in einem Seitenarm des Corso Aldo Moro stehen. Aber statt ins historische Zentrum gehen wir zuerst zum kleinen Dorfmarkt in der Via Bari, den wir im Vorbeifahren entdeckt haben. Die Wege sind in dem 2600-Seelen-Ort ohnehin nicht weit. Neugierige Blicke begleiten uns bei jedem Schritt. Viele Touristen sehen die Dorfbewohner hier nicht. Am Abend dürften wir an der Piazza Dorfgespräch sein.
Pietramontecorvino wurde von den geflohenen Bewohnern Montecorvinos gegründet, nachdem Roger II. ihre Stadt dem Erdboden gleichgemacht hatte. Sie flohen in die Höhlen von Pietra, wo sie später den Grundstein für ein neues Dorf legten. Das Centro Storico ist verwachsen mit dem Tufffelsen, auf dem die Häuser errichtet wurden. Heute werden die Höhlen darunter vor allem als Keller genutzt.
Sehenswürdigkeiten in der Altstadt von Pietramontecorvino
In das kleine und schön rausgeputzte historische Zentrum führt die Porta Alta. Sie ist das einzige noch erhaltene Portal von ursprünglich drei Stadttoren. Von dort schlängelt sich eine verschlafene Gasse mit gleichmäßig gemauerten Häuschen zum Herzogspalast und Normannen-Turm. Den Turm kannst du für einen guten Ausblick auch besteigen. Von dort reicht die Sicht weit über den Tavoliere, bei gutem Wetter sogar bis zum Gargano. Für ein sonniges Panorama haben wir uns allerdings den falschen Tag ausgesucht. Der Himmel ist wolkenverhangen und der Horizont endet im Grau.
Sehenswert ist auch die Kirche Santa Maria Assunta aus dem 12. Jahrhundert mit ihrer Majolikakuppel. Über die Jahrhunderte haben Baustile von der Romantik über Barock bis Renaissance in der Kirche Spuren hinterlassen. Schräg gegenüber kannst du noch die Chiesa Annunziata aus dem 16. Jahrhundert besichtigen. Nach etwas mehr als einer halben Stunde sind allerdings alle Sehenswürdigkeiten von Pietramontecorvino im Schlenderschritt erkundet.
Abenteuerstrecken im Subappenino Dauno
Weiter geht es nach Alberona, ein ‚Borgo più bello‘, das auf Luftlinie gerade mal zehn Kilometer entfernt ist. Die Fahrtzeit mit dem Auto beträgt allerdings 40 Minuten. Die Wege im Subappenino Dauno sind lang. Noch länger werden sie unter Anleitung des Navis. Kaum haben wir Pietramontecorvino verlassen, will uns der kleine Helfer wahlweise auf unzugängliche Schotterpisten oder tiefgefurchte Feldwege lotsen. Mit einem Geländewagen, Allrad-Antrieb und einer gehörigen Portion Glück könnten wir auf diesen abenteuerlichen Pfaden Alberona vielleicht erreichen. Wahrscheinlicher ist aber, dass wir mit unserem gemieteten Kleinwagen irgendwo im Nirgendwo stecken bleiben.
Wir drehen um und biegen ab auf eine nur minimal vertrauenswürdigere Straße. Sie führt grob in Richtung Alberona und kurz vor uns hat sie zumindest ein verbeulter Kleinlaster genommen. Über vulkankratertiefe Schlaglöcher zuckeln wir im Schritttempo und testen die Stoßdämpfer unseres Mietwagens aus. Und welch Wunder: nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir wieder auf der SP5 endlich wieder normalen Asphalt unter den Rädern. Einige Kilometer weiter schrauben sich die Straßen bei Volturino weiter in die Höhe.
Alberona – winziges Dorf mit Charme
Nach kurviger Fahrt kommen wir auf 730 Metern über dem Meeresspiegel in Alberona an. Der Ort gehört mit seinem winzigen Centro Storico und gerade einmal 900 Einwohnern zur Vereinigung der schönsten Dörfer Italiens. Um den Namen des beschaulichen Ortes rankt sich eine Gründungslegende um Flucht und Vertreibung. Der Legende zufolge waren einige Familien aus Kalabrien auf der Flucht und fanden in den Bergen Dauniens in einem riesigen Baum (Italienisch: albero) bzw. in einer Erdmulde darunter Unterschlupf. Schließlich sollen sie beschlossen haben, an der Stelle eine Siedlung zu gründen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass rund um Alberona vorher schon Byzantiner lebten. Und ganz sicher verbrieft ist, dass die Familie des bekannten Regisseurs Brian de Palma aus dem Ort stammt.
Als wir in Richtung des historischen Kerns gehen, hat sich auch die letzte Lücke in der Wolkendecke geschlossen. Neben der in grauen Stein gemauerten Chiesa San Rocco am oberen Ende der Altstadt schnuppert eine alte Nonna auf ihrem Balkon in die Luft. Ein wissender Blick und schon hängt sie mit flinken Fingern ihre Wäsche ab. Weit und breit ist in Alberona kein Mensch zu sehen. Fuchs und Hase sagen sich knapp zwei Kilometer von der Grenze zu Kampanien entfernt gute Nacht.
Kulinarischer Tipp
Die Küche von Alberona und die der anderen Orte im Subappenino Dauno ist eine bodenständige Bergküche, in der viel Lammfleisch auf den Tisch kommt. Die Gerichte haben klangvolle Zungenbrechernamen wie vròcchele p’a scardéddhe, lajianèddhe e cice, frettecéddhe p’i patane oder carne a cciopparèddhe. Selbst Italiener aus anderen Regionen scheitern an der Aussprache. Die lokalen Gastronomen erklären mit Freude, was genau sich dahinter verbirgt.
Was es in Alberona zu sehen gibt
Wir schlendern die Hauptstraße des Centro Storico entlang – falls man sie so nennen kann. Der breite Corso Vittorio Emanuele II. ist gerade einmal 150 m lang und führt zur Chiesa Madre. Zwei Männer grüßen uns freundlich und scherzen, dass wir leider nicht die beste Zeit erwischt hätten, um die Sehenswürdigkeiten des kleinen Ortes zu besichtigen. Und ja: nichts ist geöffnet. Nicht mal die Bar, um einen Espresso zu trinken.
Auch an der Piazza del Popolo herrscht an diesem Vormittag gähnende Leere. Im Sommer aber sitzen im Schatten der Bäume sicherlich die zahnlosen Alten auf den Bänken und erzählen sich die Neuigkeiten des Tages. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts tummelten sich die Templer zwischen der Mutterkirche mit dem massiven, wehrhaften Glockenturm und dem Torre del Gran Priore. Ein Erbe, auf das der Ort noch heute stolz ist.
Alberona – die Stadt des Wassers
Wegen der vielen Quellen, die rund um Alberona entspringen, nennt man das Dorf auch die Stadt des Wassers. Blöd nur, dass vom Himmel ausgerechnet jetzt Nachschub kommt und unseren Aufenthalt in Alberona vermiest. Die Nonna auf ihrem Balkon wusste offensichtlich, was uns blüht. Schnellen Schrittes laufen wir noch ein wenig durch die Gassen, an der Kirche San Giuseppe vorbei. Wir erhaschen einen Eindruck vom diesigen Panorama, das sich am Arco dei Mille aus dem 15. Jahrhundert bietet. Dann geht es notgedrungen zurück zum Auto – das Museum Antiquarium mit Alltagsgegenständen aus dem frühen 20. Jahrhundert hätten wir gerne besucht. Aber es ist ebenso wie das Wildschwein-Besucherzentrum geschlossen.
Hätte uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung gemacht, wäre Alberona ein wunderbarer Ort für ein entspanntes Päuschen. Schließlich ist der Ort ein echter Geheimtipp. Vor allem, wenn du wandern willst oder wirklich authentisches Dorfleben abseits aller touristischen Pfaden kennenlernen möchtest. Es ist jene Art von Dörfern, in denen man binnen wenigen Minuten mit den Bewohnern ins Gespräch kommt. Und du kannst auch im Ort übernachten – es gibt ein kleines Bed & Breakfast.
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