Er ist vorbei. Der große Hype um die Molekularküche, der das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends kulinarisch bestimmte, ist verflogen. Spätestens seit der Star der Avantgarde, Ferran Adrià, sein Restaurant El Bulli geschlossen hat. Auf die Hochglanztechnik der Molekularküche folgt eine neue Bodenständigkeit, die auf regionale Zutaten und saisonale Gerichte Wert legt. Trotzdem schießt die Stiftung Warentest mit „Kochen für Angeber“ einen Nachschlag zum Thema hinterher, mit dem auch Hobbyköche beim Servieren ordentlich Eindruck schinden können.
Gute Zauberer enthüllen bekanntlich niemals ihre Tricks. Doch nachdem in den letzten Jahren nicht nur die Haute Cuisine, sondern jeder drittklassige Provinzkoch der Molekularküche Tür und Tor öffnete, ist der Aha- und Oho-Effekt ohnehin nicht mehr so groß. Zeitweise schien es kein Menü mehr zu geben, bei dem nicht mindestens ein Gang avantgardistische Züge zeigte. Es ist also kein Hochverrat, wenn Thomas Vilgis in „Kochen für Angeber“ die Tricks der Hochgastronomie ausplaudert. Als Forscher am Max-Planck-Institut hat sich Vilgis jahrelang mit den physisch-chemischen Grundlagen der Avantgardeküche beschäftigt und in der letzten Dekade eine ganze Reihe Bücher zum Thema veröffentlicht.
„Kochen für Angeber“ ist ein Buch für das große Kino in der Küche. Für das effektbeladene Spektakel, bei dem Geschmacksknospen wie Augen eine aufwendige Show geboten bekommen. Wenn der Vorhang aufgeht, ist das Essen auf dem Teller in seine Bestandteile zerlegt, rearrangiert, neu komponiert und bietet im Idealfall ein einzigartiges Geschmackerlebnis. Die grundlegende Frage ist allerdings, ob man das überhaupt will? Wenn ein Menü als lauter luftige Airs, Sphären und Espumas oder glibberiger Kaviar serviert wird. Oder das Steak als quirliger Smoothie und der Bauch am Ende trotz all der physisch entleerten Geschmacksfülle immer noch launisch knurrt.
52 Rezepte aus der Molekularküche
Vilgis stellt 52 Gerichte vor, die jeweils auf unterschiedliche Techniken der Molekularküche zurückgreifen. Detailliert erklärt er anschaulich, was sich physikalisch und chemisch hinter den Zubereitungsarten verbirgt und welchen Effekt und Nutzen sie für ein Gericht bringen. Neben zahlreichen Methoden zum Beizen und Tipps zum effektvollen Einsatz von Texturen sind es vor allem Tricks, die das Essen mit viel Chichi auf dem Teller kredenzen. Darunter die ganze Bandbreite an Sphären und Perlen. Natürlich alles mit Namen, die schon verraten, dass ganz schön kompliziert gekocht wurde: Flüssigrauch an Niedertemperatur-Aubergine, Spanisch-maurisches Intermezzo auf der trigeminalen Temperaturskala und zum Nachtisch einen Irish Coffee in Eissphäre mit Whiskeyperlen.
Ein Kochbuch für Männer
Was in der Sterneküche kaum noch einen Gast hinterm Ofen hervorlockt, dürfte im Rahmen des häuslichen Kochens ordentlich Eindruck schinden. Also ist es vor allem ein Buch für Männer. Untersuchungen haben gezeigt, dass Männer, wenn sie kochen, vor allem Gerichte zubereiten, die auf dem Teller etwas hermachen. Speisen, bei denen der Koch zum vielbeachteten Star wird. Bei denen wie beim sommerlichen Grillen klar wird, wer für die Aromen und die Zubereitung verantwortlich ist.
Kompliziert sind die Rezepte für Hobbyköche allemal, manche aber auch sehr verlockend. Vorausgesetzt, man spürt einen Drang zum Experiment und erinnert sich nostalgisch an den Chemieunterricht. Denn der Begriff „Kochen“ trifft bei den Rezepten von „Kochen für Angeber“ nicht immer den Kern der Sache. Schließlich beruht die Molekularküche auf jeder Menge manipulativer Substanzen, die sich die Lebensmittelindustrie zunutze macht. Die Küche wird schnell zum Labor, wenn flüssiger Stickstoff, Erythrit oder Kalziumlaktat zum Einsatz kommen.
Auch wenn das molekulare Kochen immer noch eine Faszination ausübt: Wer hobbymäßig den Löffel schwingt, wird beim Nachkochen der Rezepte aus „Kochen für Angeber“ schnell an die eigenen Grenzen stoßen. Sterneköche fallen schließlich nicht vom Himmel. Verzweiflung, Frustration und misslungene Ergebnisse pflastern ihren Weg. So fordern die komplexen Gerichte eine Menge Geduld. Meine Prognose: Wenn nach zahlreichen Übungen schließlich ein Gang gelingt, wird sich der Koch damit wahrlich brüsten. Treffender könnte der Titel von Vilgis Buch nicht gewählt sein.
Thomas Vilgis
“Kochen für Angeber – die besten Tricks der Spitzenköche”
(Stiftung Warentest)
240 Seiten, ISBN 978-3-86851-405-6, € 29,90
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