Deftig, kalorienreich und äußerst üppig. Wenn man in Deutschland an die österreichische Küche denkt, kommen zuallererst Klischees auf den Tisch. Das Wiener Schnitzel. Oder saftige Braten, herzhafte Knödel und raffinierte Süßspeisen. Sissi und Kaiser Franz Josef essen gedanklich immer mit. Es ist der verschwenderische Prunk der Wiener Küche, auf den die österreichische Kulinarik gerne reduziert wird. Dabei hat sie so viel mehr zu bieten, wie Starkoch Bernie Rieder in „Österreichische Küche Reloaded“ eindrucksvoll unterstreicht.
Ganze 440 Seiten umfasst der Band, der neben Plachuttas Abhandlung zum zweiten Standardwerk über die Küche des Alpenlandes werden könnte. Rieder präsentiert bewährte Gerichte, beeinflusst durch die kulinarischen Vorlieben in den Gebieten der einstigen k.u.k.-Monarchie. Er orientiert sich einerseits an den typischen Zutaten der österreichischen Küche wie Erdäpfeln (Kartoffeln), Linsen, Bohnen oder Paradeisern (Tomaten), oft mit Blunzn (Blutwurst) verfeinert. Zum anderen an den großen Klassikern von Krautbeilagen, Nockerln, Spätzle und Knödeln über Backhendln und Schweinsbraten. Die Rezepte selber sind übersichtlich, gut strukturiert und machen Lust aufs Nachkochen.
Vor allem beim tollen Kapitel über Knödel läuft das Wasser im Mund zusammen. Fans der österreichischen Küche dürften sich die Finger wund kochen. Neben Semmelknödeln, Tiroler Speckknödeln, Serviettenknödeln und Böhmischen Knödeln hat Rieder jede Menge weitere Rezepte parat. Bei Szegediner Krautfleisch, Faschiertem Braten oder Steirischem Wurzelfleisch geraten nicht nur Urlauber ins Schwärmen.
Österreichische Klassiker mit modernem Einschlag
Rieder geht mit dem kulinarischen Erbe der Alpenrepublik äußerst respektvoll um, verbeißt sich aber nicht in die Klassiker. Er ist nicht nur Bewahrer von traditionellen Rezepten, sondern Modernisierer zugleich. So peppt er altbekannte Gerichte genussvoll auf und reißt Mauern zwischen Küchen ein, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Österreich meets Asien, wenn Rieder Schweinsbraten-Dim-Sum serviert oder landestyypische Zutaten als Frühlingsrollen verpackt. Was auf den ersten Blick ungewöhnlich wirkt, zeugt davon, dass der Gourmetkoch die Grundlage der österreichischen Küche verinnerlicht hat. Sie war durch die Einflüsse aus Ungarn, Böhmen, Italien und vielen anderen Regionen schon immer ein Prototyp der Crossover-Küche. Mit diesem Bewusstsein kocht Bernie Rieder die Klassiker ins Hier und Jetzt. Oft überraschend vegetarisch.
Einziger Wehmutstropfen sind die fehlenden Desserts. Lediglich ein knappes Dutzend Varianten des Schmarrn stellt Rieder von den unzähligen Mehl- und Süßspeisen vor, für die Österreich so berühmt ist und mit denen man ein weiteres Kochbuch füllen kann. Ein ganzes Kochbuch zu österreichischen Nachtischen naht aber schon. Abgesehen davon ist „Österreichische Küche Reloaded“ ein tolles Kochbuch. Traditionsbewusst und modern zugleich.
Bernie Rieder
„Österreichische Küche Reloaded“
(Braumüller)
440 Seiten, ISBN 978-3-99100-127-0, € 29,90
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