Wer das westliche Salento in Apulien besucht, kommt an dem strahlend hellen Fischerstädtchen Gallipoli kaum vorbei. Es ist der Touristenmagnet an der Küste des Ionischen Meeres. Übersehen wird dabei oft, dass sich keine 15 Kilometer entfernt mit Nardò ein Barockstädtchen voller Sehenswürdigkeiten aus der rostroten Erde erhebt, das den Vergleich mit Lecce nicht scheuen braucht. Und auch Copertino, die Stadt des fliegenden Heiligen, ist definitiv einen Tagesausflug wert! Alle drei süditalienischen Städtchen begeistern durch zauberhaften Charme und mit der ein oder anderen Legende.
Gallipoli – Fischerromantik in der „Città bella“
Città bella – die schöne Stadt wird Gallipoli genannt und das trifft es ganz gut. Nur wenige Orte im Salento haben solch eine strahlende Altstadt und besondere Atmosphäre. Irgendwo zwischen Lecceser Barock und mediterraner Fischerromantik versprüht Gallipoli einen eigentümlichen Reiz. Rund 20.000 Einwohner hat die Stadt im westlichen Salento, deren altes Zentrum sich als Kopf einer Landzunge ins Ionische Meer schiebt. Die wenigsten der Bewohner leben heute im historischen Kern. Stattdessen hat sich in den letzten Jahrzehnten die schicke Neustadt immer weiter ins Festland gefressen.
Gallipoli wurde vor über 2000 Jahren an der Ionischen Küste von den Griechen gegründet. Über die Jahrhunderte wechselten wie in ganz Apulien die Herrscher, die den Ort nach und nach zu einer Festung ausbauen ließen. Seit dem 15. Jahrhundert ist die Insel, die sich immer wieder gegen Angriffe durch sarazenische Piraten zur Wehr setzen musste, durch eine Steinbrücke mit dem Festland verbunden. Zum Land hin sicherte ein trutziges Kastell Gallipoli vor einfallenden Feinden. So wuchtig es ist, so leicht ist es heute im dichten Verkehr und vor lauter parkenden Autos fast zu übersehen.
Die malerische Altstadt von Gallipoli
Die Altstadt von Gallipoli ist eine einzige Sehenswürdigkeit für sich und wirkt fast wie ein Museum. In den vergangenen Jahrhunderten verfügte das Städtchen über einen bedeutenden Handelshafen, der Gallipoli Reichtum bescherte. Zwischenzeitlich war die Küstenstadt sogar der wichtigste Exporteur von Lampenöl. Die Spuren des einstigen Glanzes kann man im malerischen Centro Storico heute noch anhand der vielen Adelspaläste erahnen.
Genauso wichtig wie der Handel war für Gallipoli immer die Fischerei. Auch wenn das Ionische Meer zunehmend leergefischt ist, kommen in den Restaurants der Stadt immer noch die besten Fischgerichte auf den Teller. Ein Spektakel ist der tägliche Fischmarkt, bei dem die besten Fänge unter lautem Gefeilsche die Besitzer wechseln.
Die enge Verbundenheit mit dem Meer zeigt sich in einer Besonderheit der Stadt. An der Ringstraße entlang der Altstadt stehen besonders viele Kirchen. Sie alle sind dem Meer zugewandt, um die Nähe zwischen Glauben und der Arbeit auf See zu betonen. Darunter die Chiesa San Francesco d’Assisi, eine der ältesten Kirchen der Stadt. Das im 14. Jahrhundert errichtete Gotteshaus ist äußerlich schlicht gehalten, im Innenraum zeigt es sich barock und verspielt. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen mit der Santa Maria degli Angeli und der Chiesa del Santissimo Crocifisso eine Reihe weiterer Kirchen.
Eine Kathedrale für eine sizilianische Heilige
Gallipolis bekannteste Sehenswürdigkeit ist die Cattedrale Sant’Agata am höchsten Punkt der Altstadt. Erbaut wurde sie ab 1629 auf den Resten einer romanischen Kirche. Vor noch längerer Zeit soll an ihrer Stelle ein antiker Tempel gestanden haben. Die Fassade aus Tuffstein ist ein echtes Meisterwerk aus feinstem Lecceser Barock. Großformatige Gemälde schmücken die Kathedrale im Inneren. Gewidmet ist sie der sizilianischen Märtyrerin Agatha von Catania, der vor vielen Jahrhunderten die Brüste abgeschnitten wurden. Auf Sizilien gedenkt man ihr heute noch auf besonders süße Weise – mit einer Variante der Cassata-Törtchen.
Kulinarischer Tipp: Scapece Gallipolina
Beim Restaurantbesuch in Gallipoli solltest du auf jeden Fall Scapece gallipolina essen. Das Fischgericht reicht weit in die Vergangenheit zurück. Um bei Belagerungen möglichst lange mit Lebensmitteln versorgt zu sein, frittierten die Bewohner Gallipolis Fisch, von dem sie wegen der Lage am Meer reichlich hatten. Die Fische legten sie anschließend in großen Holzgefäßen in Semmelbrösel ein, die in einer Essig-Safran-Mischung getränkt wurden. Heute ist Scapece eine der bekanntesten Spezialitäten aus dem Salento und kommt vor allem bei Heiligenfesten auf den Tisch.
Neben einem Besuch der Kirchen gilt es, sich in Gallipoli vor allem durch die hellen, gepflasterten Altstadtgassen treiben zu lassen. Heiligenbilder an Hauswänden, geschmückte Innenhöfe und die mediterrane Stimmung machen den Reiz des Ortes aus. Leider haben das auch viele andere Touristen bemerkt, weshalb es vor allem an Wochenenden im Centro Storico durchaus voll ist.
Nardò – Geheimtipp mit schönsten Barock-Palazzi
Gemütlicher geht es dagegen in Nardò zu. Mit etwas mehr als 30.000 Einwohnern ist es die zweitgrößte Stadt im Salento und steht Lecce in nichts nach. Von Gallipoli ist es nur ein Katzensprung – Nardò liegt nordöstlich, knapp vier Kilometer trennen die Stadt von der Küste. Nardò begeistert mit einer unglaublich schönen und reizvollen Altstadt voller Sehenswürdigkeiten. Die meisten Touristen lassen es oft links liegen. Sie strömen lieber ins benachbarte und bekanntere Gallipoli. Dabei überzeugt Nardò durch ein attraktives Nachtleben mit einem hervorragenden Angebot an Bars und Trattorien.
Die Altstadt ist reich an Barockbauten und alten Palazzi, die beim Schlendern durch die Gassen ins Auge fallen. In manchen Straßen wie der Strada Ingusci, der Via Lata oder dem Corso Garibaldi reihen sich besonders viele noble Wohnhäuser und Paläste aneinander. Ein genauer Blick lohnt oft, sonst übersiehst du schnell aufgemalte Heiligenbilder oder Spuren vergangener Zeiten. Die Stadt wirkt vor allem deshalb wie aus einem Guss, weil bei einem Erdbeben 1743 ein großer Teil der Gebäude zerstört oder stark in Mitleidenschaft gezogen und im Anschluss im Barockstil wiederhergestellt wurden.
Piazza Salandra – einer der schönsten Plätze des Salento
Besonders eindrucksvoll ist das Herz der Altstadt – die Piazza Antonio Salandra. Es handelt sich um einen der schönsten Barockplätze Süditaliens mit einem einmaligen Ensemble aus historischen Gebäuden mit kunstvollen Balkonen und Portalen. Seit dem Mittelalter ist er das Zentrum des öffentlichen Lebens. In der Mitte steht die pyramidenförmige Immacolata-Statue von 1769 aus lokalem Caparo-Stein und reichlich verziertem Pietra Leccese.
Das älteste Gebäude am Platz ist der Sedile. Das kleine Bauwerk der Stadtverwaltung stammt aus dem späten 15. Jahrhundert. Die Rokoko-Verzierungen auf dem Sims hat man allerdings erst nachträglich hinzugefügt. Recht nüchtern nimmt sich dagegen die Chiesa San Trifone aus dem 18. Jahrhundert aus. Die Neretini, wie die Bewohner Nardòs nach dem alten römischen Namen Neretum heißen, errichteten sie nach dem Ende einer Raupenplage.
An dem zur Piazza ausgerichteten Seitenflügel der Chiesa San Domenico, die beim Erdbeben von 1743 fast vollständig zerstört wurde, steht die jüngste Sehenswürdigkeit des Platzes: der Fontana del Toro. Der Brunnen von 1930 greift den Gründungsmythos von Nardò auf. Demnach soll ein Stier mit dem Huf auf dem Boden gescharrt und dabei eine Wasserquelle freigelegt haben. An genau jenem Ort gründeten die Neretini ihre Stadt. Ein Grund, weshalb der Stier und die sprudelnde Quelle auch Teil des Stadtwappens sind.
Aber auch das Portal der Kirche, das direkt um die Ecke liegt, solltest du nicht verpassen – es ist mit seinen üppigen Verzierungen ein echter Hingucker! Das architektonische Ensemble an der Piazza Salandra vervollständigt der säulengetragene Palazzo di Città. Er wurde nach dem Erdbeben im Rokoko-Stil wiederaufgebaut, ist heute aber kein kommunales Gebäude mehr.
Nardòs besondere Sehenswürdigkeit: der Dom mit dem Cristo Nero
Nur eine Straße weiter versteckt sich etwas abseits der Dom Santa Maria Assunta. Über einer kleinen Vorgängerkirche aus dem 7. Jahrhundert entstand der Dom im 11. Jahrhundert unter den Normannen. Durch mehrere Erdbeben trug er schwere Schäden davon, bevor man ihn zuletzt Ende des 19. Jahrhunderts neugestaltete. Die wichtigste Sehenswürdigkeit im Inneren ist ein hölzernes Kruzifix mit einem Cristo Nero, einer schwarzen Christusfigur aus byzantinischem Zedernholz. Angeblich soll das Kreuz die Sarazenen nach einem Überfall in die Flucht geschlagen haben, als diese sahen, dass die Christusfigur aus einem abgebrochenen Finger blutete.
Vom Dom aus erreichst du in wenigen Minuten den Corso Garibaldi mit den Kirchen Santa Teresa und Immacolata sowie dem Palazzo Sambiasi. Sehenswert ist auch der Corso Vittorio Emanuele, der am Palazzo di Città abgeht und zum ehemaligen Kloster und der Kirche der Karmeliten führt. Rund um den Corso und an der Piazza delle Erbe befinden sich einige gute Bars für einen Aperitivo.
Kulinarischer Tipp: Osteria da Roberto
Direkt um die Ecke der Piazza Salandra mit ihren wunderschönen Barockbauten schlägt das kulinarische Herz von Nardò. Die Osteria da Roberto gehört zu den letzten Bastionen einer salentinischen Tradition: die Cantina – ein Lokal, in dem die alten Männer bei einem Glas Wein Karten spielen konnten. Heute kommen traditionelle salentinische Gerichte auf den Tisch, mit denen du dich einmal quer durch die Küche der Provinz probieren kannst. Die Speisekarte ist nicht umfangreich, dafür ist von Auberginen-Polpette über Kartoffel-Panzerotti bis Blattzichorie für jeden Geschmack etwas dabei.
Osteria da Roberto, Via Rosario 9, Nardò
Am südlichen Ende der Altstadt kannst du noch dem Castello Arganonese einen Besuch abstatten. In der einstigen Festung verschmelzen Mittelalter und Novecento-Moderne architektonisch miteinander. Ende des 19. Jahrhunderts hat man das Kastell in einen Adelspalast umgebaut und die Fassade um moderne Elemente ergänzt.
Copertino – von fliegenden Heiligen und bröckelnden Palazzi
Über Copertino, rund 20 Autominuten südwestlich von Lecce, hängen am frühen Nachmittag dicke Wolken. Gewitter liegen in der Luft. Kein gutes Wetter zum Fliegen, hätte sich vermutlich der berühmteste Sohn der Stadt, der Heilige Josef von Copertino (1603-1663), gedacht. Der Mönch soll allerhand Wunder vollbracht haben und ist wegen seiner angeblichen Levitationen als „Fliegender Frater“ in die Geschichte eingegangen. Als Schutzpatron der Flieger hat er seinen Platz im Heiligenkabinett der katholischen Kirche gefunden.
Etwa 23.000 Einwohner hat Copertino, doch die haben sich gut versteckt. Natürlich sind in der Mittagspause in allen Orten Süditaliens die Straßen nahezu ausgestorben. Doch Copertino gleicht einer Geisterstadt. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. An der Piazza Umberto betreten wir das Centro Storico auf dem Weg zur zentralen Piazza del Popolo. In einer Seitenstraße weist das Portal dei Pappi aus gelblichen Lecceser Stein darauf hin, dass dort einmal ein edler Adelspalast stand. Rund um die Piazza reiht sich ein Ensemble aus bröckelnden Palazzi, einem Uhrenturm und der Kirche Santa Chiara von 1545. Die ursprüngliche Fassade ergänzte man in späteren Jahrhunderten um typische Barockverzierungen.
Beeindruckend ist auch der 35 Meter hohe Torre Campanaria aus dem 16. Jahrhundert, der mit der Basilica della Madonna delle Nevi verwachsen ist. Der Turm fällt durch das zunehmende Detailreichtum auf. Während er am Fuß als simples Quadrat gebaut ist, schließt er oben mit einer Reihe filigraner Säulen ab. Deutlich älter ist die Basilica, deren Bau 1088 von den Normannen angestoßen und 1235 von den Schwaben fertiggestellt wurde. Wie so oft wurde die Fassade im Laufe der Jahrhunderte mehrmals überarbeitet. Die beiden steinernen Löwen neben dem Portal gehören zu den ältesten Elementen der Kirche.
Kulinarischer Tipp: Weine aus Copertino
Weine aus Copertino tragen seit 1976 eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Die rubinfarbenen Rotweine müssen zu mindestens 70 Prozent aus der Rebsorte Negroamaro gekeltert werden. Die Winzer verschneiden sie dann mit Malvasia Nera, Montepulciano oder Sangiovese. Ein weiteres DOC-Gebiet für Rot- und Roséweine ist das benachbarte Nardò. Eine Flasche der guten Tropfen ist ein perfektes Mitbringsel für Daheimgebliebene.
Mächtige Mauern und prächtige Portale – das Castello von Copertino
Copertinos größte Sehenswürdigkeit ist das mächtige Castello aus dem 13. Jahrhundert, das 300 Jahre später zur heutigen Festung samt tiefen Graben ausgebaut wurde. Normalerweise kannst du es vormittags besichtigen. Am Nachmittag bleiben die Türen verschlossen. Voreilig umkehren solltest du dann nicht. Es lohnt sich, das reich verzierte Portal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Zu den sehenswerten Straßen in Copertino gehört natürlich die Via San Giuseppe. Dort liegt nicht nur die Kirche Santuario di San Giuseppe, die dem Heiligen Josef gewidmet ist. Quasi direkt gegenüber steht das Haus, in dem einst der Vater des Heiligen wohnte. Er musste es allerdings zeitweise wegen einer Schuldenaffäre verlassen, weshalb sein Sohn Josef nicht in dem Haus zur Welt kam. 150 Jahre später kauften es Mönche anlässlich der Seligsprechung von Josef und verwandelten es in eine Kapelle.
Noch mehr vom Heiligen Josef gibt es wenige Meter weiter an der Piazza San Giuseppe – ein Brunnen spendet dort frisches Wasser und uns ein wenig Schatten am Ende unserer Reise durch den Salento. Der südliche Zipfel von Apulien hat sich mit Orten wie Gallipoli, Otranto oder Lecce vom Geheimtipp zum beliebten Reiseziel entwickelt. Doch glücklicherweise gibt es in der Region noch jede Menge sehenswerte Orte zu entdecken, die ihren authentischen Charakter bewahrt haben und nicht auf jeder Bucket-List stehen.
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