Die Deutschen lieben italienische Küche. Das war nicht immer so. Als sich ab dem 17. Jahrhundert Adelige und Bildungsbürger wie Johann Wolfgang von Goethe auf die Grand Tour nach Italien begaben, berichteten sie wenig Gutes über das Essen im Süden. Zu fremd und ungewohnt erschienen ihnen die Speisen. Seitdem hat sich viel getan. Wie die Deutschen ihre Abscheu gegenüber italienischem Essen überwanden und die Cucina Italiana ihren Siegeszug antreten konnte, beschreibt Dieter Richter in seinem Buch „Con Gusto“, einer kulinarischen Geschichte der Italiensehnsucht.
Herr Richter, warum hat sich Goethe so wenig fürs Essen interessiert?
Genau die gleiche Frage habe ich mir auch gestellt. Die „Italienische Reise“ gehört zu meinen Lieblingsbüchern und meine vorläufige Antwort war immer, dass es ihm zu banal war. Ich habe dann gezielt die „Italienische Reise“ nochmal durchgelesen, speziell auf kulinarische Bemerkungen hin. Und zusätzlich das Tagebuch, aus dem die Druckfassung hervorgegangen ist. Ich habe gemerkt, dass vor allem im Tagebuch Essen und Trinken immer wieder vorkommen.
Was berichtet Goethe dort?
Er interessiert sich sehr für den Fischmarkt in Venedig oder für die Auslagen in Neapel. Er beobachtet sogar in Sizilien die Herstellung einer bestimmten Nudelart, wo die Pasta um einen Stock gedreht wird. Ich habe daraus sofort die Fusilli erkannt. Und er interessiert sich sehr für den Anbau, die Wirtschaftsweise der Bauern und fremde Pflanzen. Im Weimarer Goethe-Archiv habe ich zudem die Abrechnungen seiner Hausleute in Rom am Corso 18 gefunden. Es sind die einzigen Goethe-Schriften, die bis heute nicht veröffentlicht sind. Darin konnte man sehr gut erkennen, wie er es mit dem Essen und Trinken gehalten hat.
Italienische Küche kam bei den Deutschen schlecht weg, die seit dem 17. Jahrhundert auf Grand Tour durch Italien reisten. Sie galt als befremdlich und ungenießbar.
Für die Reisenden war es eine Begegnung mit dem Fremden, das einem persönlich sehr nahekommt. Ich habe Verständnis dafür, dass man in einem anderen Zeitalter mit Ablehnung darauf reagiert hat. Es ist das historische Gefühl der Fremdheit. Ganz so wie Reisende heute reagieren, wenn sie in Vietnam oder Thailand etwas an Essen vorgesetzt bekommen, vor dem sie sich ekeln. In der Begegnung mit ostasiatischen Küchen herrscht oft noch eine Abwehr, die bis an Abscheu grenzt. Interessant ist, wie fremd uns Italien in der Gastronomie noch bis vor wenigen Generationen war. Mittlerweile haben wir gelernt, dass die europäische Kultur gastronomisch mehr oder minder die unsere geworden ist.
Erste Ausnahmestimmen gab es erst im 19. Jahrhundert. Die Schriftstellerin Fanny Lewald betrachtete die Cucina Italiana deutlich differenzierter und äußerte sich kritisch über die kulinarische Mäkelei ihrer Landsleute. Warum hatte sie einen anderen Blick?
Fanny Lewald hat in deutlicher Weise Partei für die italienische Küche ergriffen. Sie war eine sehr emanzipierte Frau. Sie hat sich zu Recht über die Männer mokiert, die ins Restaurant gegangen sind oder einen Koch engagiert haben, um sich nicht mit dem Thema Essen und Trinken auseinandersetzen zu müssen. Es gab auch weibliche Reisende, die voller Abscheu auf die italienische Küche reagiert haben. Aber viele zeigten sich offener für das Küchenwesen. Das waren sie von zu Hause gewohnt, das haben sie gelernt. Die Männer haben sich nur an den Tisch gesetzt und gesagt, es schmeckt oder es schmeckt nicht.
Vor allem an der Verwendung von Olivenöl störten sich viele Deutsche. Die damalige Abneigung ist heute verschwunden. Doch in Deutschland bevorzugt man immer noch ein Olivenöl, das mild und nicht scharf oder bitter schmeckt.
Der Olivenölboom ist noch jung. Nicht älter als zehn, fünfzehn Jahre. Mir ist auch aufgefallen, dass die Deutschen nicht das kräftige toskanische Olivenöl bevorzugen, das grün und grasig schmeckt, sondern eher das milde Öl. Dort wirkt nach, was für unsere Eltern und Großeltern galt: Öl darf nach nichts schmecken, zum Beispiel wenn man damit einen Salat macht.
Was ist das Erfolgsrezept der italienischen Küche? Wie konnte sie sich nach anfänglicher Abneigung in Deutschland durchsetzen? Und sind wir kulinarisch wirklich so italophil, wie wir denken? Das liest du im zweiten Teil des Interviews mit Dieter Richter.
Dieter Richter studierte Germanistik, Altphilologie und Theologie. Von 1972 bis 2004 lehrte er als Professor für Kritische Literaturgeschichte an der Universität Bremen. Er ist Verfasser zahlreicher kulturwissenschaftlicher Bücher, die sich mit Italien befassen. Darunter „Neapel – Biographie einer Stadt“, „Die Insel Capri“, „Goethe in Neapel“ und „Der Süden – Geschichte einer Himmelsrichtung“. Dieter Richter lebt in Bremen und Ravello und ist Ehrenbürger von Amalfi. 2008 erhielt er den Verdienstorden der Italienischen Republik.
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