Ganz im Süden Italiens liegt Kalabrien. Die Stiefelspitze punktet mit rauer, aber erstaunlich grüner Natur, einer schroffen Landschaft und steilen Küsten, die vom Ionischen und Tyrrhenischen Meer umspült werden. Im Gegensatz zu anderen Regionen Italiens ist die mehr als 800 Kilometer lange Küste Kalabriens noch nicht von Touristen überrannt. Im Gegenteil – die malerischen Buchten und die wundervollen Strände gehören immer noch zu den landschaftlichen und kulturellen Geheimtipps. Wenn du so tief in den Mezzogiorno reist, kannst du eine Menge pittoresker Dörfer und eine herrliche Küsten- und Gebirgslandschaft entdecken. Und natürlich die kulinarischen Highlights der kalabresischen Küche.
Kalabrien stand lange auf unserer Bucket-List. Mit dem Auto wollen wir die Küste Kalabriens entlang des Tyrrhenischen Meeres erkunden. Es ist Ende August. Die Hauptsaison ist gerade vorbei, aber die Temperaturen sind immer noch hoch und die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Genauso haben wir es uns vorgestellt!
Wir landen in Neapel, denn auf dem Rückweg wollen wir noch der Amalfiküste am Golf von Salerno einen Besuch abstatten. Wir haben Glück: der Flieger ist pünktlich und an der Mietwagenstation geht es auch ganz schnell. Muss es auch, denn unser Ziel an diesem Tag ist der große Zeh der Stiefelspitze, die 500 Kilometer tiefer im Süden liegt.
Reise zur Fußspitze Italiens
Der Verkehr in Süditalien ist alles andere als dicht und so geht es zügig voran. Über die Autobahn (E45) vorbei an Salerno durchs cilentanische Hinterland und eine atemberaubende Landschaft mit gigantischen Bergmassiven des Apennin, dann kurz durch die Basilikata. In Kalabrien passieren wir Cosenza, Lamezia Terme und Vibo Valentia. Die Natur wird zunehmend schroffer. Etwas mehr als fünf Stunden sind wir unterwegs, als wir mit der einsetzenden Dunkelheit in Scilla ankommen. Einem winzigen Fischerdorf in der Nähe von Reggio di Calabria mit Blick auf Sizilien. Scilla wird die nächsten Tage unsere Basis sein. Jetzt müssen wir nur noch einen Parkplatz finden, was in dem Ort, der eng und steil an der Küste haftet, nicht ganz so einfach ist.
Scilla liegt direkt an der Meerenge von Messina. Nicht mal 5000 Einwohner hat das Örtchen. Entsprechend beschaulich geht es tagsüber zu. Die Bewohner leben vor allem vom Fischfang und Tourismus. Im Sommer locken die malerische Bucht und der lange Strand Badewütige aus dem Umland. Im Winter herrscht in dem mediterranen Idyll dagegen gähnende Leere. Gut für maximale Entschleunigung. Von hier aus kannst du nicht nur gut den Nationalpark Aspromonte erkunden, sondern einen Ausflug nach Reggio di Calabria starten.
Kulinarischer Tipp
Im Sommer solltest du in Scilla auf jeden Fall Schwertfisch essen! In der Region werden seit Jahrhunderten die besten Exemplare gefischt und in den Sommermonaten ist Saison. Dann kommt der Schwerfisch fangfrisch auf den Teller.
Sehenswertes in Scilla
Das Centro Storico von Scilla ist dreigeteilt. Oberhalb der Küste, am steilen Felshang über der Bucht, wohnt der größte Teil der Einwohner Scillas im Ortsteil San Giorgio. Hier bietet sich von der Piazza San Rocco ein wundervoller Blick über die beiden direkt an der Küste gelegenen Ortsteile Chianalea und Marina Grande. Getrennt sind sie durch das Castello Ruffo, das auf einem großen Felsen thront. An der Klippe soll das Seeungeheuer Skylla gehaust haben, das auf Homers Odyssee sechs Seemänner verschlang und dem Fischerdorf seinen Namen gab.
In San Giorgio findest du das unberührte italienische Leben, viele Touristen verirren sich nicht hierher. Im Supermarkt in der Via Giacomo Matteotti decken wir uns mit Lebensmitteln und lokalen Spezialitäten ein, denn am Abend wollen wir bei Antipasti und Wein die phänomenale Aussicht von unserem Balkon genießen.
Das Strandleben in Scilla spielt sich im Ortsteil Marina Grande ab. Mehrere kostenpflichtige Lidi bieten Komfort und großzügige öffentliche Strandabschnitte kostenfreies Badevergnügen – alles schön sauber und gepflegt. Und Ende August auch nicht mehr zu voll.
Das Fischerviertel Chianalea
Unser Apartment liegt im alten Ortsteil Chianalea. Ein wirklich idyllisches Fischerviertel, das zu den borghi più belli d’Italia zählt. Chianalea wirkt ein wenig wie das Ideal des italienischen Fischerdorfs. Das Meer ist dauerpräsent. Selbst wenn man es nicht in Sichtweite ist, spürt und hört man es in den schmalen Gassen. Die Häuser sind so nah ans Wasser gebaut, dass sie von den Wellen geküsst werden. Kein Wunder, dass viele Bewohner ihre Boote direkt vor der Haustür angebunden haben.
Abends herrscht in Chianalea Betriebsamkeit, aber trotzdem wirkt alles entspannt. Vom kleinen Hafen, wo sich die kleine Partyszene trifft, bis zum Ortsende kannst du gemütlich schlendern. Neben vielen Handwerksläden reihen sich eine Menge kleiner Restaurants und Osterien aneinander, viele davon mit Terrasse am Meer. Die Lokale sind voll und du solltest reservieren, wenn du keine Wartezeiten in Kauf nehmen möchtest.
Kulinarischer Tipp
Der Casa Vela Wine Bar musst du unbedingt einen Besuch abstatten! Von den kleinen Tischen an der Via Annunziata aus kannst du das quirlige Treiben in Chianalea bestens beobachten und dazu eine Platte mit typisch kalabrischen Spezialitäten wie Nduja oder Ricotta mit Bergamottenmarmelade essen. Dazu noch den Vino della casa und einem perfekten Abend steht nichts mehr im Weg!
Casa Vela Wine Bar, Via Annunziata 18, Scilla
Reggio Calabria – ein Steinwurf von Sizilien
Am nächsten Tag brechen wir in Richtung Reggio di Calabria auf. Das Auto lassen wir in Scilla, denn mit dem Zug dauert es nur eine knappe halbe Stunde in die südlichste Großstadt auf dem italienischen Festland. Gerade mal 2,40 Euro kostet das Zugticket – wenn wir es denn kaufen könnten. Einen Ticketschalter gibt es ebenso wenig wie einen Automaten. Also fragen wir einen der wartenden Fahrgäste. „Fahrscheine gibt es oben im Tabacchi“, murmelt er und zeigt auf den Berg, von dem wir gerade kommen. Aber wir sollen es so machen, wie alle: einfach einsteigen und einen Aufschlag von vier Euro zahlen, falls der Schaffner kommt. So machen wir es und erfahren dafür in den fünf Minuten, die wir am Bahnhof warten, die Lebensgeschichte des Mannes.
Am Lido von Reggio Calabria steigen wir aus. Nach Meinung des Dichters Gabriele D’Annunzio beginnt hier der schönste Kilometer Italiens: der Lungomare Falcomatà. Die prächtige Promenade mit ungetrübtem Blick auf Sizilien wurde dem Antimafia-Bürgermeister Italo Falcomatà gewidmet. Der Lungomare, die Architektur Reggios und die entspannte Atmosphäre der Stadt erinnern uns ein wenig an Salerno.
Direkt an der Lido-Bahnstation liegen zwei große Touristenattraktionen: das Museo Archeologico Nazionale beherbergt die berühmten Bronzestatuen von Riace, die aus dem 5. Jahrhundert vor Christus stammen und Zeugnis der griechischen Geschichte Kalabriens sind. Der Besuch lohnt sich! Daneben befindet sich das winzige Museo del Bergamotto. Bis ins kleinste Detail widmet es sich der Bergamotte – jener Zitrusfrucht, für die der südlichste Zipfel Kalabriens berühmt ist.
Kulinarischer Tipp:
Wer Reggio di Calabria besucht, kommt um die Bergamotte nicht herum. Die zitronenähnliche Frucht wächst fast ausschließlich in Kalabrien, vor allem zwischen Reggio Calabria und Roccella Ionica. Ganze 90 Prozent der weltweiten Bergamotten-Produktion stammen aus Kalabrien. Bergamotten schmecken bitterer als Zitronen und verströmen einen betörenden Duft, der für die Parfumproduktion genutzt wird. Nebenbei sind sie erstklassige Cholesterinkiller. Bergamotten verfeinern aber auch jede Menge Lebensmittel, von der Schokolade bis zum Likör. Wenn du in Kalabrien bist, musst du unbedingt Bergamotten-Honig probieren. In Reggio di Calabria kannst du ihn bei Pizzimenti kaufen, einem Feinkostgeschäft für kalabrische Spezialitäten. Dort gibt es auch einen Bergamotten-Fruchtsaft. Er ist leicht bitter und irre sauer – aber für Cocktails oder als Schorle sehr erfrischend. Pizzimenti, Corso Giuseppe Garibaldi 263, Reggio di Calabria
Skulpturen von Rabarama
Auf dem Lungomare Richtung Hauptbahnhof spenden großblättrige, knorrige Feigen Schatten. Bunte Blumenbeete liegen dazwischen, die von lokalen Initiativen gepflegt werden. Und die beeindruckenden Skulpturen der italienischen Künstlerin Rabarama. Ja, diese Uferpromenade mit den Prachtvillen des Corso Vittorio Emanuele gehört definitiv zu den schönsten Straßen Italiens!
Sehenswürdigkeiten in Reggio Calabria
Wie in vielen Städten Italiens reiht sich auch in Reggio di Calabria Kirche an Kirche. Unser nächstes Ziel ist der Dom, die Basilica Cattedrale di Maria Santissima Assunta in Cielo. Im Gegensatz zur prunkvollen Fassade ist die Kathedrale im Inneren geradezu zurückhaltend ausgeschmückt, was auch daran liegt, dass die Kirche durch das Erdbeben von 1908 zerstört und danach neu errichtet wurde. Einen genaueren Blick solltest du auf jeden Fall auf den Altar mit seinen beeindruckenden Holzschnitzereien werfen.
Hinter der Kathedrale führt die Via Cimino nicht nur zur normannisch-byzantinischen Chiesa degli Ottimani, sondern zum imposanten Castello Aragonese. Die massive Festung ist das Wahrzeichen Reggios und bietet vom Turm aus einen fantastischen Ausblick über die ganze Stadt und auf die Meerenge von Messina bis nach Sizilien. Vor allem während des Sonnenuntergangs ist die Aussicht Romantik pur.
Wenn du Lust auf Shopping hast, solltest du auf jeden Fall wieder zurück in Richtung Meer gehen. Der Corso Giuseppe Garibaldi ist Reggios Einkaufsmeile, an der sich jede Menge Geschäfte für Mode, Taschen und Schuhe, aber auch einige Bars aneinanderreihen.
Kulinarischer Tipp:
Vor unserer Abreise aus Reggio di Calabria legen wir noch einen Zwischenstopp im Gran Caffè ein, unweit vom Lungomare und der Bahnstation Lido. Die Pasticceria hat eine tolle Auswahl an Dolci und anderen Leckereien. Unbedingt hingehen und einen Mignon oder die Canolli siciliani mit Pistaziencreme probieren!
Gran Caffè, Via Genoese Zerbi 9, Reggio di Calabria
Weiter zu Teil 2: Kalabrien: Von Scilla nach Tropea, der Perle des Tyrrhenischen Meeres
Du hast Fragen oder Anmerkungen? Du warst auch schon in Kalabrien? Berichte gerne in den Kommentaren von deinen Erfahrungen und Tipps!
Maike
Hi,
sehr viele hilfreiche Tipps;) Ich bin diesen Monat zum ersten Mal dort und freue mich jetzt umso mehr!!
VG
Torsten
Danke dir! Ich wünsche dir eine schöne Zeit in Kalabrien und berichte gerne von deinen Erfahrungen!
Bianca
Vielen Dank für diese tollen Informationen. Wir fliegen morgen und ich kann’s kaum erwarten.
Torsten
Danke dir und viel Spaß in Kalabrien!
Julia
Vielen Dank für die tollen Tipps! Wir überlegen Mitte März hinzufahren, ist es noch sehr kalt? Ich weiß, dass man nicht baden kann, aber wie fühlt es sich insgesamt um diese Zeit an?
Torsten
Liebe Julia,
im März kann es noch wechselhaft sein, auch wenn es schon deutlich weniger regnet als im Januar und Februar. Die Temperaturen sind noch für süditalienische Verhältnisse frisch, aber ab Mitte März dürftest du schon den ein oder anderen frühlingshaften Tag erleben und das Thermometer klettert durchaus schon mal über die 20 Grad.
Liebe Grüße
Torsten