Fast schon kultisch wird Yotam Ottolenghi von Hobbyköchen und Kochbuch-Fans auf der ganzen Welt verehrt. Der Londoner Koch mit italienischen und deutsch-israelischen Wurzeln hat mit „Jerusalem“, „Nopi“ oder „Genussvoll vegetarisch“ die Fusionküche zwischen herzhaften und süßen Aromen kräftig durcheinandergewirbelt. Seine Rezepte begeistern mit einer Mischung aus orientalischem Flair, mediterraner Gelassenheit und kontinentalem Kosmopolitismus. Im Kochbuch „Sweet. Süße Köstlichkeiten“ schauen Yotam Ottolenghi und seine Chef-Patissière Helen Goh auf die süßen Seiten des Lebens.
Bei Ottolenghi gibt es immer viel zu entdecken! Nicht nur in seinen fünf Londoner Restaurants und Delis, in denen die Köstlichkeiten aus seinen Kochbüchern vor Ort probiert werden können. Auch in der Zusammenstellung von Aromen eröffnet er stets neue Welten. Ottolenghi vermischt Gegensätze und Zutaten, bei denen man auf den ersten Blick nicht glaubt, dass sie zusammenpassen. Die Geschmacksexplosion im Mund belehrt stets eines Besseren. Es ist das Erfolgsrezept des Londoner Kochs.
Entsprechend erfreut und aufgeregt war ich als Dessertfan, als das nächste Ottolenghi-Kochbuch angekündigt wurde: „Sweet“, ein 384 Seiten starkes Buch über Desserts und andere süße Köstlichkeiten. Bei Ottolenghi darf man bei so einem Thema Großes erwarten. Und die ein oder andere neue Leckerei, die sich langfristig im Nachtischrepertoire einen Stammplatz sichert.
Über 120 Rezepte tragen Yotam Ottolenghi und Helen Goh, Zuckerbäckerin und Patissière aus Melbourne, für das Kochbuch „Sweet. Süße Köstlichkeiten“ zusammen: Cookies, Kuchen und Torten, Cheescakes, Tartes, Desserts und andere Leckereien. Alles kleine Sünden und erfrischend ungesund im Zeitalter der Detox- und Health-Food-Kochbücher, die eher dazu neigen, die Genuss-Lust zu verderben. Süßes, der Staatsfeind Nr. 1 der gesunden Ernährung, feiert bei Ottolenghi sein großes Comeback. Auch wenn „Sweet“ vorgibt, ohne Rücksicht auf Unverträglichkeiten gegen Nüsse, Gluten oder Milchprodukte zu kochen, sind für Lebensmittelgeplagte trotzdem rund 30 Rezepte enthalten, die sie problemlos kochen können. Kokos-Schoko-Kuchen ohne Mehl zum Beispiel.
„Sweet“ ist vor allem ein Kochbuch für Backfans. Gebäck steht im Mittelpunkt, oft aber gepimpt mit Cremes, Früchten oder leckeren Toppings. Die Bandbreite an klassischen Keksen erweitert Yotam Ottolenghi mit einer Vielzahl an neuen Sorten: Mandel-Pistazien-Plätzchen mit Sauerkirschen oder Honig-Orangenblüten-Amaretti gehören dabei zu den Highlights! Bei Letzteren fehlt allerdings die Angabe der richtigen Temperatur, die bei der Zubereitung exakt eingehalten werden muss. Typisch Ottolenghi sind auch die Gevulde Speculaas, die mit acht verschiedenen Gewürzen ein wahres Feuerwerk der Aromen zünden.
Die Küchlein und Torten versetzen, wie sollte es bei Ottolenghi anders sein, ebenfalls in Kochlaune. Brownies mit Tahin und Halwa klingen auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, überzeugen dann aber doch in der ungewöhnlichen Kombination. Krapfen mit Safrancreme sind extrem geschmacksintensiv und sind sicher nicht etwas für alle Gaumen – dafür gibt der Londoner Kochguru aber einen Krapfen-Zubereitungstipp fürs Leben.
Ungeduldig warte ich schon jetzt auf den Sommer, denn die Gerollte Biskuittorte mit Zitrone und Schwarzen Johannisbeeren könnte zu einem absoluten Klassiker in der warmen Jahreszeit werden. Wenn denn erstmal die Früchte reif sind! Ebenso wie der Aprikosen-Mandel-Kuchen mit Zimt-Topping. Winterlicher dagegen der Marzipankuchen mit Kardamon und gebackenen Pflaumen – eines der schönsten Rezepte im ganzen Buch. Sobald die Feigenzeit naht, steht auch die Pawlowa mit Zimt, Krokantcreme und frischen Feigen auf der To-Do-Liste.
Wer sich Ottolenghis „Sweet“ zulegt, sollte viel Zeit haben. Nicht, weil die Rezepte, wie es bei „Nopi“ der Fall war, besonders aufwendig und zeitintensiv sind. Im Gegenteil: auch wenn Ottolenghis Rezepte mit vielen Zutaten spielen, sind sie immer übersichtlich erklärt und stets gut nachzukochen. Wenn zusätzliches Equipment benötigt wird, das nicht zur Standardausrüstung in der Küche gehört, weisen die Anleitungen immer darauf hin. Das Buch macht jedenfalls so viel Lust, all die Rezepte auszuprobieren, dass es über Monate in der Küche nicht langweilig werden dürfte.
„Sweet. Süße Köstlichkeiten“ ist für Backfans und Naschkatzen mit Hang zu außergewöhnlichen Aromen absolut empfehlenswert. Ein gutes Buch. Und trotzdem nicht ganz befriedigend. Denn seine größte Stärke ist gleichzeitig seine Schwäche: „Sweet“ konzentriert sich auf so viele Backrezepte, dass ein ganz, ganz großes Feld der Desserts unbestellt bleibt. Das Thema Cremespeisen oder Semifreddi reißt Ottolenghi mit wenigen Ausnahmen wie dem Knickerbocker Glory oder einem Espressoparfait kaum an. Hier bleibt zu hoffen, dass sich der Starkoch einfach noch etwas Stoff für ein weiteres Dessertbuch aufgehoben hat. Denn sicher ist: „Sweet“ wird wie alle anderen Ottolenghi-Kochbücher sicherlich ein Bestseller.
Yotam Ottolenghi, Helen Goh
„Sweet. Süße Köstlichkeiten“
(Dorling Kindersley)
ISBN 978-3-8310-3301-0, 384 Seiten, € 26,95
Fotos in diesem Beitrag: PEDEN + MUNK. F. d.dt. Ausgabe: Dorling Kindersley Verlag
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