Ungewöhnlich still war es zuletzt um den britischen Kochguru Yotam Ottolenghi. Nach einem Jahr Kochbuch-Pause hat er sich jetzt mit einem neuen Kochbuch zurückgemeldet. Zusammen mit seinem Kochteam verwöhnt Ottolenghi in „Comfort“ mit jeder Menge Rezepte für Wohlfühl-Essen.
Comfort Food ist der größte gemeinsame Nenner, den man kulinarisch wählen kann. Denn „Behaglichkeits-Essen“, wie sich der schillernde Anglizismus wörtlich und ungelenk ins Deutsche übersetzt, ist alles und nichts. Ein schwer abzugrenzendes Feld an Speisen, mit denen jeder etwas anderes verbindet. Es sind positiv besetzte Gerichte, die das Wohlfühlen-Essen ausmachen. Ottolenghi versucht sich in seiner Einleitung an einer Erklärung: es geht um Nostalgie, Kindheitserinnerungen, Genuss, Bequemlichkeit und vor allem um die persönliche Prägung.
So ist „Comfort“ vor allem ein Kochbuch, das vom kulturellen Hintergrund und den kulinarischen Emotionen der vier Küchenmeister Yotam Ottolenghi, Helen Goh, Verena Lochmuller und Tara Wigley zehrt. Was diese vier unter Comfort Food verstehen, kann für die Leser und Hobbyköche zu Hause theoretisch das vollständige Gegenteil sein. Doch für diesen unwahrscheinlichen Fall liefert das Kochbuch immer noch tolle Rezepte zum Ausprobieren.
Nachkochen ist schließlich der beste Weg, um neues Comfort Food zu entdecken. Denn es geht Ottolenghi um die Beziehung zum Essen. Sie beginnt beim Kochen und lebt auf in der Situation, in der man das Gericht anschließend verspeist. Die Menschen, mit denen man isst, spielen eine ebenso große Rolle. Comfort Food ist ein soziales Ereignis, schafft Gemeinschaft über ein geteiltes Esserlebnis. Quasi das, was man in Italien über Jahrzehnte erfolgreich gelebt hat.
Wer einmal ein Ottolenghi-Rezept für Freunde, für die er ein Unbekannter ist, gekocht hat, weiß: seine Gerichte ernten Begeisterung. Die Aromen lassen aufhorchen, setzen Gespräche in Gang, zaubern zufriedenes Lächeln auf gesättigte Gesichter. So auch die Gerichte in „Comfort“, die vor allem auch für Vegetarier spannend sind. Fleisch-, Fisch- und Gemüse-Rezepte halten sich in Ottolenghis elftes Kochbuch die Waage. Und wie gehabt kitzelt sein Team mit vielen Kräutern und Gewürzen aus allen Hauptzutaten besondere Geschmacksexplosionen hervor.
Mit Ottolenghi und um die Comfort-Welt
Die Bandbreite an Rezepten reicht im Buch fast um den halben Globus – kein Wunder bei den mannigfaltigen kulturellen Hintergründen, die Ottolenghi und sein Team mitbringen. Malaysische oder philippinische Speisen sind ebenso vertreten wie Gerichte mit Wurzeln im Nahen Osten, Nordafrika oder Europa. Oft aber gepimpt im Ottolenghi-Style und modernisiert.
Sein Ofenlachs auf Puttanesca-Art verfeinert Ottolenghi beispielsweise mit eingelegten Zitronen – eine Zutat aus der arabisch-nordafrikanischen Küche. Zusätzliche Aromen erhält das Gericht durch ein Tomaten-Sardellen-Öl, das mit Kräutern, Gewürzen und Ahornsirup abgerundet ist. Da sich das Öl schon am Vorabend zubereiten lässt, steht der Ofenlachs am nächsten Tag binnen 20 Minuten auf dem Tisch.
Ein vegetarisches Rezept, das jede einzelne Geschmacksknospe verwöhnt, ist der Zitronenreis mit Käsebällchen und Chilibutter. Eigentlich als Beilage gedacht, hat der Ofenreis ein so intensives Aroma, dass er auch als eigenständiges Gericht durchgeht. Im Gegensatz zu vielen anderen Ottolenghi-Gerichten muss man bei diesem Rezept nur die Zutaten zusammenschmeißen und alles in den Ofen geben. Einzig die Käsebällchen zu rollen, ist etwas tricky – Perfektion ist aber nicht nötig, da die Käsekugeln im Reis schnell zerlaufen.
Sein geschmorter Fenchel und Kabeljau mit Augenbohnen und ‘Nduja-Butter zählt für mich zu den Highlights von „Comfort“. Aber auch mit Vorspeisen wie Hummus auf südfranzösische Art mit Kichererbsen und Fenchel, veredelt mit einem Schuss Wermut oder weiße Riesenbohnen mit gerösteten Kirschtomaten weckt Ottolenghi unbändige Kochlust. Einzig der Rezeptteil mit süßen Köstlichkeiten könnte für meinen Geschmack besser ausgebaut sein. Denn was tröstet besser und spendet mehr Behaglichkeit als Schokolade oder andere zuckerhaltige Sünden. Wobei Desserts wie Crêpe mit selbst gemachter Sesam-Schoko-Nougat-Creme oder – noch besser – Lemoncurd, Mascarpone und Thymian mit Qualität statt Quantität bestechen.
Die Kochbuch-Pause nach der „Test Kitchen“-Fortsetzung hat Ottolenghi jedenfalls gut getan. Und auch den Hobbyköchen zu Hause, die mit jedem Buch genug Futter für mehr als ein Jahr wundervolle Kochexperimente und behagliches Beisammensein mit Freunden bei einem leckeren Essen haben. Lange hat man sich nicht mehr so über ein neues Ottolenghi-Kochbuch gefreut.
Yotam Ottolenghi, Helen Goh, Verena Lochmuller, Tara Wigley
„Comfort“
(Dorling Kindersley)
ISBN 978-3-8310-4984-4, 320 Seiten, 38 €
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