Con Gusto – Interview Teil II
Im 20. Jahrhundert erlebte die italienische Küche in Deutschland einen wahren Boom. Dabei galt sie für viele deutsche Reisende lange Zeit als ungenießbar. Wie die Cucina Italiana mit Zitronen, Gelato und Pizza die Herzen der Deutschen eroberte, schildert Kulturwissenschaftler und Italien-Experte Dieter Richter in seiner kulinarischen Geschichte „Con Gusto“. Im zweiten Teil des Interviews verrät er, wie die italienische Küche so erfolgreich wurde und was Italiener und Deutsche kulinarisch unterscheidet.
Was bedeutet den Deutschen das italienische Essen?
Für die Deutschen steht das italienische Essen für die Fantasie eines Urlaubslandes, in dem sie besser leben als in Deutschland. Es symbolisiert gesundes Essen, seit die Dieta Mediterranea seit einiger Zeit ein Leitmodell ist. Und ich glaube, es bedeutet für viele Deutsche die rein räumliche Begegnung mit einem Ambiente, in dem sich die Wirte die Mühe geben, nicht nur Deutsch, sondern Italienisch zu sprechen. Und wo es eine Ausstattung gibt für eine Begegnung mit dem Fremden oder scheinbar Fremden, das sie an das Sehnsuchtsland im Süden erinnert.
Ernährung sagt viel über die eigene Identität aus. Mit Blick darauf: was verrät die Liebe zur italienischen Küche über die Deutschen? Sind die Deutschen mit sich selbst unglücklich und wären lieber Italiener?
Es gibt zwei Antworten darauf. Die erste wäre zu einfach: die italienische Küche ist gut und schmeckt einfach. Aber hinter unserer Vorliebe für das fremde Essen steckt auch eine Skepsis gegenüber dem Eigenen. Da kommen wir in Bereiche hinein, in denen es um unsere deutsche Identität geht. Auch um unsere historische Identität, weil Rezepte immer Geschichte transportieren und mit der historischen Identität haben wir ja zu Recht unsere Probleme. Die Linke der 1968er Generation in Deutschland wollte auch die gastronomischen Standards umwälzen. Für sie waren deutsche Gerichte Teil eines kryptofaschistischen Syndroms der Vätergeneration und hatten was mit Nazis und dicken Saucen zu tun. Sie galten als spießig. Für einen revolutionären Italiener oder Franzosen war das eigene Essen jedoch nie Teil einer verachteten oder kritisierten Vätergeneration.
Wer in Gesellschaft isst, lebt in Heiterkeit
Sie schreiben, dass Speisen eine gesellschaftliche Aura und einen sozialen Geschmack haben. Was meinen Sie damit?
Essen und Trinken sind in Italien und generell in Südländern stark sozial konnotiert. Sie müssen nur in der Ferienzeit an einem Wochenende in ein Restaurant in Süditalien gehen. Dort sitzen große Gruppen von Menschen. Freunde und Kinder sind mit dabei. Essen ist eingebunden in soziale Begegnungen. Man lädt andere ein oder man legt zusammen. Essen hat die Aura des Gemeinschaftlichen. Das fängt schon morgens an. Wir sagen immer, die Italiener frühstücken nicht. Aber die gehen morgens in die Bar und schon da hält man bei einem Cornetto und Caffé mit den ersten Leuten einen kleinen Schwatz. Die UNESCO hat in der Anerkennung der Dieta Mediterranea als immaterielles Welterbe herausgestellt, dass das Essen eine Rolle in der Gemeinschaftsbildung spielt.
Und wie ist es in Deutschland?
Für die Deutschen ist Essen eher etwas Individuelles. Man geht mit der Familie essen oder isst zu Hause. Es gibt das wunderbare neapolitanische Sprichwort „Chi magna sulo, s‘affoca“. Wer allein isst, erstickt. Alleine essen ist eine Ausnahmeerscheinung. Genauso ist es beim Strandleben. Wir Deutschen gehen an den Strand und schwimmen. Die Italiener gehen an den Strand, stehen bis zu den Knien im Wasser und unterhalten sich. Der Strand ist ebenfalls ein soziales Ereignis.
Die Küche ist durch Italienreisen in den Fünfzigern und mit den Gastarbeitern in den Sechzigern nach Deutschland gekommen. Ist die Liebe zum italienischen Essen ein westdeutsches Phänomen oder hat sich die Italiensehnsucht auch im Osten festgesetzt?
Es ist absolut ein westdeutsches Phänomen, weil es in der DDR keine italienischen Gastarbeiter und auch keinen Tourismus nach Italien gegeben hat. Der Siegeszug der italienischen Küche in den Siebziger Jahren war zunächst ein rein westdeutsches Phänomen. Die Italiensehnsucht fängt in den neuen Bundesländern erst ab 1989 an. Interessant ist aber, dass die lange Tradition unserer deutschen Liebes- und Fantasiebeziehung zu Italien von 1948 bis 1989 untergründig überlebt hat. In der Zeit gab es aber den Versuch, sich vom Westen ein wenig was abzuschauen – mit der Crusta. Das war die DDR-Pizza. Damit wollte man ein bisschen italienisches Lebensgefühl kopieren.
Auf dem Teller liegt der Traum von Italien
Mit Blick auf die Speisekarten italienischer Restaurants finde ich, dass sich die Offenheit der Deutschen für die Cucina Italiana immer noch in Grenzen hält. Ist die Begeisterung für authentische italienische Küche vielleicht doch nicht so groß?
Italienische Wirte haben mit ihren deutschen Gästen einen Kompromiss geschlossen und auf bestimmte Besonderheiten verzichtet. Ich meine damit gar nicht so sehr das fehlende Angebot an regionalen Spezialitäten. Die sind oft schwer zu transferieren, weil sie an lokale Produkte gebunden sind. Kaum ein Italiener in Deutschland würde die Beilagen extra berechnen. Das ist höchstens bei gehobenen Italienern der Fall. Der deutsche Gast geht davon aus, dass er alles auf einem Teller bekommt und nichts extra berechnet wird. Bei der Art des Bezahlens haben sich die italienischen Wirte ebenfalls den deutschen Gästen angepasst. Oder bei der Pasta, die bei uns sehr fleischlastig sein muss, während sie in Italien ein Gericht ist, das vom Sugo lebt.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Bei meinem Lieblingsgericht Pasta Patate kocht man Nudeln mit rohen Kartoffeln und es kommt noch etwas Käse darauf. Das könnte man einem deutschen Gast nicht anbieten, weil es nur Nudeln sind. Pasta Aglio e Olio ist auch so ein Fall. Ich beobachte, dass auf den Speisekarten italienischer Restaurants in Deutschland immer sehr viel Fleisch oder Fisch bei Pasta dabei ist. Da schwingt die alte Vorstellung mit, Pasta genüge nicht und sei nur eine Beilage.
Was ist denn das Erfolgsrezept der Cucina Italiana?
Ich habe am Ende meines Buches versucht, soziologisch zusammenzufassen, wie sich diese Küche in Deutschland so ausbreiten konnte. Zum einen gilt italienisches Essen gilt in der Form von Pizza oder Pasta als leicht herzustellen. Die angeblich schnelle italienische Küche korrespondiert mit einem Lebensstil, bei dem immer weniger Zeit für die Herstellung des Essens verwendet wird. Zweitens gibt es einen gesundheitlichen Faktor. Die italienische Küche gilt als gesunde Küche. Man könne durch sie abnehmen. Der dritte Faktor spielt für Kinder eine Rolle: Mit dem Essen kommt man ihnen entgegen und versucht, ihren Bedürfnissen näher zu kommen als das noch vor ein, zwei Generationen der Fall war. Das italienische Essen verbindet also auch die Generationen. Und schließlich kommt noch unsere Vorliebe für und unser Liebäugeln mit dem Fremden hinzu.
Essen haftet auch ein nostalgisches Element an. Ist italienische Küche auch erfolgreich, weil sie ein Gemeinschaftsgefühl beim Essen vermittelt, das in deutschen Familien verloren gegangen ist?
Die Soziologen des Essens und Trinkens sagen, dass Essen immer Erinnerungen auslöst – an die Kindheit zum Beispiel. Schon Gerüchen gelingt das. Das Erstaunliche ist aber, dass sich das italienische Essen für die meisten Deutschen nicht mit Kindheitserinnerungen verbindet, sondern höchstens mit Reiseerinnerungen. Dass wir uns so schnell an die italienische Küche gewöhnt haben, ist im Grunde ein Wunder.
Wie verpönt die Cucina Italiana bei deutschen Italienreisenden war, warum Goethe kaum übers Essen schrieb und wo die Abneigung gegen italienisches Essen noch heute durchschlägt, liest du im ersten Teil des Interviews mit Dieter Richter.
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