Mitten im Nirgendwo des sizilianischen Hinterlandes, keine fünf Kilometer von der Kleinstadt Piazza Armerina entfernt, liegt eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Siziliens: die spätrömische Villa del Casale. Sie reiht sich ein in die großen, erhaltenen Attraktionen aus der Antike wie das Colosseum in Rom oder die Ausgrabungen von Pompeji. Die Villa Romana del Casale beeindruckt mit ihren wunderschönen, farbenfrohen Mosaikböden, die Einblicke in das Leben vor fast 2000 Jahren geben. Ganz vergessen wird dagegen oft, dass das nahegelegene Städtchen Piazza Armerina auch einen Besuch wert ist.

Villa Romana del Casale – UNESCO-Weltkulturerbe in Sizilien
Der riesengroße Parkplatz lässt erahnen, welch Bedeutung die antike Villa Romana del Casale für Sizilien und Hobbyhistoriker hat. Die archäologische Stätte gehört neben den Tempeln von Agrigent und dem Teatro Greco in Taormina zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Sizilien. Sie ist weltberühmt für die lebhaften Bodenmosaike, die Szenen aus der Mythologie und dem kulturellen Leben der damaligen Zeit erzählen. Seit 1997 ist die Villa Romana del Casale Weltkulturerbe der UNESCO – ein Titel, den das antike Anwesen eindeutig verdient.
An diesem sonnigen September-Tag ist der Parkplatz nur spärlich belegt. Zur Hauptsaison ist dagegen die Hölle los. Rund eine halbe Millionen Menschen besuchen die Villa Romana del Casale pro Jahr. Reisebusse karren die Touristen für einen Ausflug an. In der Nebensaison geht es deutlich ruhiger zu – der beste Zeitpunkt, um die spektakulären Mosaike einigermaßen in Ruhe zu bestaunen.
Die spätrömische Villa war eine luxuriöse römische Residenz auf dem Land. Auf einer Fläche von 1,5 Hektar erstreckt sich das riesengroße Anwesen, von dem heute noch etwa 45 Räume erhalten sind. Die Böden sind mit prachtvollen, bunten Mosaiken ausgelegt. Auf rund 3500 m2 tummeln sich Sagengestalten, wilde Tiere, heldenhafte Krieger und sportliche Nymphen. Eine einzigartige Bodenpracht aus rund 120 Millionen kleinen Steinchen, die viel über die Kultur und Geschichte der Antike erzählen.
Rätsel um den Besitzer – Kaiserresidenz oder Aristokratenvilla?
Erbaut wurde die Villa Casale schätzungsweise Ende des 3. Jahrhunderts nach Christus, vielleicht auch Anfang des 4. Jahrhundert. Über den genauen Zeitpunkt streitet die Forschung seit Jahrzehnten. Es war eine Zeit, in der es in Sizilien nach langer wirtschaftlicher Flaute wieder aufwärts ging und der Wohlstand zurückkehrte. Das lag daran, dass die Handelsroute zwischen Afrika und der italienischen Halbinsel erneut an Bedeutung gewann. Sizilien profitierte als zentrale Zwischenstation davon und florierte ab dem 4. Jahrhundert.
Auch darüber, wem die Villa Casale gehörte, sind sich die Historiker bis heute nicht einig. Manche vermuteten, dass sich Kaiser Marcus Aurelius Valerius Maximianus, kurz Maximian, dort nach seiner Abdankung niederließ. Andere glauben, dass Maximians Sohn Maxentius der Besitzer des luxuriösen Landguts war. Doch es könnte auch sein, dass die Villa Casale gar keine Kaiserresidenz war, sondern nur einem Aristokraten oder sizilianischen Statthalter gehörte. Viele Geheimnisse um die eindrucksvolle Villa sind bis heute noch nicht eindeutig gelüftet.
Vom Erdrutsch verschüttet – die Wiederentdeckung der Villa im 18. Jahrhundert
Im 12. Jahrhundert verschwand die Villa, die zuvor schon stark zerstört war, schließlich vom Erdboden. Ein Erdrutsch begrub die spätantiken Ruinen und mit den Steinen auch die Erinnerungen daran. Wiederentdeckt wurden die Überreste der spätrömischen Villa 1761. Doch erst Anfang des 19. Jahrhunderts begannen die ersten Ausgrabungen. Noch einmal weit über 100 Jahre sollte es dauern, bis die Villa del Casale schließlich wieder freigelegt war. Und selbst in den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder neue Forschungsgrabungen.
Um Besuchern den Zugang zu dieser einzigartigen Sehenswürdigkeit zu ermöglichen und sie gleichzeitig zu schützen, hat man einen großen Teil der alten Räume überdacht. Über Stege können Touristen die Villa erkunden und die wundervollen Mosaike bewundern. Empfehlenswert ist auch eine geführte Tour durch das spätrömische Traumhaus. Angereichert um viele Anekdoten aus der langen Geschichte der Ausgrabungsstätte gibt es beim Rundgang mit einem Guide viel Hintergrundwissen.
Die Mosaikwelten der Villa Casale
Die Mosaike in der Villa Casale sind so umfangreich, dass ich dir an dieser Stelle nur ein paar davon vorstellen möchte. Bei einer Reise nach Sizilien gehört ein Besuch der Villa Casale aber auf jeden Fall zum Pflichtprogramm. Ich habe viele spannende Sehenswürdigkeiten in meinem Leben gesehen, aber die Villa del Casale in Piazza Armerina gehört zu denjenigen, die mich besonders beeindruckt haben.
Die Bodenmosaike sind so gut konserviert, dass sie dir einen lebhaften Blick in die Vergangenheit ermöglichen. Und sie regen die Fantasie an: wie muss es sich in solch kunstvoll verzierten Räumen gelebt haben? Wie prunkvoll waren wohl die Wände geschmückt? Und wieviel spätrömischer Dekadenz fröhnte man hier einst?
Gladiatoren, Tiere und Helden – Geschichten in Stein
Jeder Raum zeigt andere Themenwelten: die Jagd, exotische Tiere, mythische Szenen aus griechischen und römischen Sagen, geschichtsträchtige Ereignisse und natürlich eine ordentliche Portion Sex.
Eines der ersten großen Mosaike in der Villa del Casale befindet sich in der 15 Meter langen Palästra. Der langgezogene Raum führte zu den Thermen, die sowohl aus dem öffentlichen Bereich der Villa als auch aus den privaten Gemächern erreichbar waren. Der Boden zeigt ein detailreiches Wagenrennen im römischen Circus Maximus.
Unglaublich gut erhalten ist auch der Boden des Peristyls. Die Mosaike rund um den, von einem Säulengang gesäumten, Innenhof sind in quadratische Felder unterteilt und mit Köpfen von Raubkatzen, Stieren, Pferden und sogar einen Elefanten verziert. Wenn du von oben auf den Gang blickst, fällt dir sofort auf, dass die Tierköpfe unterschiedlich ausgerichtet sind. Sie dienten quasi als Leitsystem im Gebäude und wiesen den Weg zu den wichtigsten Räumen der Villa.
Die große Jagd – ein 65 Meter langes Meisterwerk
Ein weiteres Highlight in der Villa del Casale ist das Mosaik der großen Jagd. In einem über 65 Meter langen Korridor konnten sich die antiken Künstler so richtig austoben. Das gigantische Bodenbild erzählt in mehreren Szenen davon, wie in Afrika Panther, Löwen, Elefanten, Antilopen und viele andere Tiere für die Gladiatorenspiele in den Amphitheatern gefangen und auf Schiffe verfrachtet werden. Der lange Gang trennte die öffentlichen von den privaten Gemächern und war einer der wichtigsten Abschnitte des Gebäudes.
Besonders schön sind auch die vielen Mosaiken, die von Sagen und Mythen der Antike erzählen. Sie sind meist in den Vorzimmern der Schlafgemächer zu finden. So kannst du in einem Raum nacherleben, wie Odysseus den Zyklopen Polyphem überlistet, indem er ihn mit starkem Wein betrunken macht. Im Süden der Villa ist dagegen ein Wettkampf zwischen Eros und Pan zu sehen.
Das berühmte Zimmer der Bikinimädchen
Zu internationalem Ruhm kam die Villa del Casale als Sehenswürdigkeit aber durch ein ganz besonderes Mosaik: das Zimmer der Bikinimädchen. Es zeigt zehn junge Frauen beim Sport, die tatsächlich Kleidung tragen, die stark an Bikinis erinnert. Offiziell wurde die schmucke, zweiteilige Strandkleidung erst Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden und fand als Bikini 1946 ihren Namen. Für die Guides der römischen Villa sind die Darstellungen auf dem antiken Boden dennoch die ersten Bikinis der Geschichte.
Erotische Szenen im Cubiculum – spätrömische Sinnlichkeit
Leicht bekleidet und deutlich erotischer ging es auch im Cubiculum der Villa del Casale zu – dem Schlafzimmer. Wenn du schon einmal in Pompeji warst, sind dir sicherlich die vielen, teils deutlichen Darstellungen von Sex aufgefallen. Auch auf dem Boden eines Cubiculums in der Villa del Casale geht es heiß her. Aphrodite und Adonis geben sich ein Stelldichein, wenn auch deutlich jugendfreier als in Pompeji.
Diese ausgewählten Highlights der kunstvollen Bodenverzierungen sind nur ein kleiner Teil dessen, was die Villa Casale wirklich sehenswert und zu einem Must-See auf jeder Sizilienreise macht. Du kannst, wenn du dir alle Mosaike in Ruhe anschauen möchtest, Stunden in der archäologischen Zeitmaschine verbringen. Es lohnt sich auf jeden Fall!
Piazza Armerina – die Stadt der 100 Kirchen
Wenn du nach deinem Besuch der Villa Casale noch Lust auf einen Stadtbummel hast, dann solltest du unbedingt im nahegelegenen Piazza Armerina vorbeischauen – der Stadt der 100 Kirchen. Obwohl das kleine Städtchen so nah an der Ausgrabungsstätte liegt, wird es doch von den meisten Touristen vernachlässigt. Dabei lädt die Altstadt Reisende zu einer entspannten Entdeckungstour ein.
Normannische Spuren im Centro Storico
Piazza Armerina liegt auf rund 700 Metern Höhe in der Provinz Enna. Etwas mehr als 20.000 Menschen leben in dem kleinen Städtchen, das bis 1926 die Provinzhauptstadt war. Die Altstadt wuchs vor allem zur Zeit der Normannen, die 1063 die Sarazenen als Herrscher Siziliens ablösten. Die Spuren der Normannen erkennst du vor allem in der Art und Weise, wie die engen Gässchen angelegt sind. Wie Fischgräten zweigen sie von der zentralen Hauptstraße Via Monte ab, die durch das historische Zentrum führt.
Dass Piazza Armerina einst zu den blühenden Zentren der Insel gehörte, lässt sich heute noch anhand der vielen prunkvollen Palazzi und der zahllosen Kirchen erahnen, die über das gesamte historische Zentrum verteilt sind. Aus diesem Grund empfehle ich dir auch, dich einfach durch die Gassen treiben zu lassen. Zu sehen gibt es mehr als genug. Auch wenn viele Gebäude aus Mangel an großen Touristenströmen vor sich hinbröseln und noch nicht renoviert sind, strahlt der Ort doch eine ganz eigene, morbide Magie aus. Er hat mich an meine ersten Reisen in den Norden Italiens vor rund 30 Jahren erinnert, als längst nicht so viele Gebäude wie heute restauriert waren.
Die Kathedrale und ihr barockes Portal
Zu den wichtigsten Sakralbauten gehört die Cattedrale di Maria Santissima delle Vittorie. Sie wurde zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert auf einer bereits bestehenden Kirche errichtet. Der Vorgängerbau ist heute noch im 40 Meter hohen Glockenturm im gotisch-katalanischen Stil sichtbar. Sehenswert ist auch das wirklich prächtige Portal im sizilianischen Barock am Haupteingang der Kirche.
Kulinarischer Tipp: Gelateria Disìu
Ein wundervoller Ort zum Ausspannen in Piazza Armerina ist die Gelateria Disìu, direkt um die Ecke vom Teatro Garibaldi und der Chiesa dei Teatini am Eingang zur Altstadt. Die Gelateria ist für ihr hervorragendes Granita weit über die Stadtgrenzen bekannt. Bei wundervoller Aussicht kannst du es auf der Terrasse im Schatten eines Sonnenschirms genießen. Unbedingt probieren solltest du das Maulbeeren-Granita, auf Italienisch: gelsi. Aber auch die anderen Eissorten und Leckereien sind nicht zu vernachlässigen.
Gelateria Disìu, Piazza Umberto I, Piazza Armerina
Palazzo Trigona und das Stadtmuseum
Direkt nebenan findest du den Palazzo Trigona – der wohl prunkvollste bürgerliche Palast der Stadt. Er wurde ebenfalls im Barockstil errichtet und beherbergt das städtische Museum, das bei unserem Besuch aber gerade geschlossen hatte. Nicht weit vom Palazzo Trigona entfernt zeigt die Pinacoteca Communale Gemälde aus den Palästen der Stadt.
Einen Blick ist auch das Castello Aragonese wert. Die trutzig-wehrhafte Burg wurde 1392 von den Aragoniern fertiggestellt und wirkt mit seiner kahlen Schlichtheit wie ein uneinnehmbarer Fels in der Brandung. Leider ist es nicht möglich, das Castello zu besichtigen. Nicht nur, weil es dringend Restaurierungsarbeiten benötigt, sondern vor allem weil es sich im Privatbesitz befindet. Angeblich öffnet es zu außergewöhnlichen Anlässen seine Pforten für Besucher.
Kulturelles Highlight: Palio dei Normanni
Irgendwo zwischen Re-Enactment mit mehreren Hundert Darstellern in historischen Kostümen und mittelalterlichen Ritterspielen bewegt sich das bedeutendste Fest von Piazza Armerina. Zum Palio dei Normanni, der jedes Jahr vom 12. bis 14. August gefeiert wird, treten die vier Stadtviertel bei einem festlichen Wettbewerb mit viel kulinarischem und musikalischem Drumherum gegeneinander an.
Der Palio erinnert an den Sieg der Normannen gegen die Araber im 11. Jahrhundert. Voller als an diesen drei Tagen wird es in der Stadt das ganze Jahr nicht und der große Trubel zieht Besucher aus ganz Sizilien an. Wenn du im August in Sizilien bist, solltest du dir dieses Ereignis nicht entgehen lassen.
Piazza Garibaldi – Herzstück der Altstadt
Früher oder später landest du bei einem Bummel durch Piazza Armerina zwangsläufig an der Piazza Garibaldi, einem der schönsten Plätze der Stadt. Sie ist der zentrale Knotenpunkt in der Altstadt, an dem alle Straßen und Gässchen zusammenlaufen. Vor ein paar Jahren verstopften noch unzählige Autos den schmucken Platz, doch diese Zeiten gehören der Vergangenheit an. Mittlerweile wurde die Piazza Garibaldi umgestaltet und rückt so die vielen historischen Gebäude wie den Palazzo di Città und die barocke Chiesa San Rocco stärker in den Mittelpunkt.
Über die Via Garibaldi mit vielen kleinen Geschäften oder die Via Umberto I gelangst du zur Chiesa dei Teatini an der Piazza Martiri d’Ungheria. Hier tummeln sich förmlich die alten Bauwerke. Neben der besagten Kirche findest du dort den Padre Santo-Turm, der Teil der mittelalterlichen Stadtmauer ist. Auch die Kirche San Giovanni Evangelista, die Commenda dei cavalieri di Malta sowie die Parrocchia Santo Stefano befinden sich direkt nebenan. Spätestens jetzt weißt du, wieso man Piazza Armerina die Stadt der hundert Kirchen nennt.
Wie du Piazza Armerina am besten erreichst
Piazza Armerina liegt etwa 30 Kilometer von Enna und Caltagirone entfernt. Die Stadt hat keinen Bahnhof, weshalb du sie nur mit dem Bus oder einem eigenen Auto erreichen kannst. Ausflüge zur Villa del Casale kannst du in fast jeder größeren sizilianischen Stadt buchen – die Touren machen aber gewöhnlich keinen Halt in Piazza Armerina. Wenn du mit dem Auto anreist, kannst du am besten an der Piazza Falcone e Borsellino parken. Der Parkplatz liegt direkt an der Altstadt, die du nach zwei Minuten Fußweg erreichst.
Parco di Ronza – Naturoase im Grünen
Nur wenige Kilometer nördlich von Piazza Armerina findest du eine richtige Naturoase: Der Parco di Ronza ist ein beliebtes Ausflugsziel mitten im Grünen. Ein wunderbar duftender Eucalyptus-Wald, Picknickplätze und viele Wander- und Spazierwege laden in dem wunderschönen Naturpark zum Entspannen ein. Vor allem im Sommer, wenn die Bäume Schatten vor der heißen Sonne Siziliens spenden, suchen die Bewohner Siziliens im Parco di Ronza etwas Abkühlung. In der Nebensaison hast du den Park fast für dich allein.
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